#1

Aufklärung

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 12.02.2020 22:05
von Atue (gelöscht)
avatar

Zitat

Immanuel Kant: Es ist so bequem, unmündig zu sein
Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?
Von Immanuel Kant


Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt und so weiter, so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Dass der bei Weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem, dass er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, dass diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperrten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen droht, wenn sie es versuchen, allein zu gehen. (...)

Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar lieb gewonnen und ist vor der Hand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Missbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit. (...)

Dass aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit lässt, beinahe unausbleiblich. Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken, um sich verbreiten werden."




Wie ist das mit der Aufklärung? Wie weit sind wir schon gekommen, und wann wird sie endlich umgesetzt?



nach oben springen

#2

RE: Aufklärung

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 12.02.2020 23:56
von moorhuhn | 1.486 Beiträge

Zitat von Atue im Beitrag #1
Wie weit sind wir schon gekommen, und wann wird sie endlich umgesetzt?


Ganz ehrlich, nicht sehr weit

Die "Vormünder" mögen sich gewandelt haben, dennoch gibt es immer noch zu viele Zeitgenossen, die sich vor allem aus (Denk) Faulheit vor ihren Karren spannen lassen. Beispiele liefert die aktuelle Politik zuhauf.
Ich sehe im modernen Aufklärungsprozess aber auch ein modernes Problem, was Kant seinerzeit gar nicht so explizit auf dem Schirm hatte- die "Vormünder" mutieren allmählich selbst Unmündigen, Denkfaulen und bequemem "Hausvieh".
Schaut man sich an, was derzeit in unserer "Parteiendemokratie" abgeht, wo mehr oder weniger gestandene Politiker im ewigen Gerangel mit dem Gegner im eigenen egoistischen Saft schmoren, damit völlig sinnlose Krisen auslösen und das Gemeinwohl nur noch ganz am Rande eine Rolle spielt, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir wieder Kantsche Zeiten haben. Oder komplettes Chaos bis in die Bundesebene, weil der "Souverän" in Unmündigkeit verfallen ist.

Als kleinen Anstoß/Lichtblick in der Aufklärungsdebatte sehe ich die vielen jungen Leute, die, wenn auch unüberlegt und kompromisslos, ihre Komfortzone lautstark verlassen. Was ich ihnen dabei zugute halte, ist ihre Unabhängigkeit von Parteienfilz und kleinkarriertem Machtgehabe, sie sehen das große Ganze, das Gemeinwohl. Daran können sich alle "Vormünder ein Beispiel nehmen!


Der frühe Vogel kann mich mal !
nach oben springen

#3

RE: Aufklärung

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 13.02.2020 10:21
von Anthea | 12.400 Beiträge

Zitat von moorhuhn im Beitrag #2
Als kleinen Anstoß/Lichtblick in der Aufklärungsdebatte sehe ich die vielen jungen Leute, die, wenn auch unüberlegt und kompromisslos, ihre Komfortzone lautstark verlassen. Was ich ihnen dabei zugute halte, ist ihre Unabhängigkeit von Parteienfilz und kleinkarriertem Machtgehabe, sie sehen das große Ganze, das Gemeinwohl. Daran können sich alle "Vormünder ein Beispiel nehmen!


Ja, okay. Aber diese "edle Gesinnung" ist in den meisten Fällen zeitlich begrenzt. Nämlich sie währt so lange, wie die jungen Leute selbst nichts zu verlieren haben. Junge Leute waren immer schon "Rebellen" auf verschiedene Art. Und laut sein und gegen etwas sein gehört nun einmal dazu.
Hier auch wieder mein Beispiel von Studenten und ihren Demos. Sie studieren so "vor sich dahin" und haben selbst noch nichts wirklich geleistet. Da lässt sich leicht reden und demonstrieren.
Aber sobald jemand "ausstudiert" hat und nur eine kleine Assessorstelle bekommt, dann ist Schluss. Dann ist Integration ins Gefüge und Karriere angesagt....

Natürlich sind nicht alle so, mag sein, dass sich gewisse "Kerndinge" zementieren und als unerlässlich einbrennen. Aber das ist mMn nicht die Norm.
Deshalb: Carpe diem. Oder man muss das Eisen schmieden, so lange es heiß ist....


Ich bin der Wahrheit verpflichtet, wie ich sie jeden Tag erkenne, und nicht der Beständigkeit.
Mahatma Gandhi


nach oben springen

#4

RE: Aufklärung

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 13.02.2020 13:56
von SirPorthos | 3.127 Beiträge

Liebe Gemeinde,

ich bin gerade davor, die 50 Jahre zu erreichen...leider aus der falschen Richtung.

Die Aufklärung ist gerade mal ca. 250 Jahre alt. In dieser kurzen Zeit wurde viel erreicht. Alle westlichen Demokratien basieren auf dem Fundamenten der Aufklärung. Auch die Verfassung der vereinigten Staaten von Amerika hat hier ihre Wurzeln.

Wir sollten ihr mehr Zeit geben. Mindestens so viel wie der katholischen Kirche, die mittlerweile 2000 Jahre alt ist.

Lieben Gruß aus dem alten Land !


Si vis pacem para bellum !
nach oben springen

#5

RE: Aufklärung

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 13.02.2020 20:05
von moorhuhn | 1.486 Beiträge

Zitat von Anthea im Beitrag #3
Aber sobald jemand "ausstudiert" hat und nur eine kleine Assessorstelle bekommt, dann ist Schluss. Dann ist Integration ins Gefüge und Karriere angesagt....



Schon klar, deshalb war es ja auch ein "kleiner" Lichtblick, von dem ich schrieb.
Integration ins Gefüge mit Blick auf Karriere, ob das wohl für Kant die "praktische Vernunft" bedeutet hat?


Der frühe Vogel kann mich mal !
nach oben springen

#6

Aufklärung und Individualismus

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 13.02.2020 22:09
von Atue (gelöscht)
avatar

Ich bin optimistisch und pessimistisch zugleich. Optimistisch, weil schon unglaublich viel erreicht wurde - und pessimistisch, weil es doch so langsam geht, und ich auch die permanenten Rückschläge sehe.

Allerdings erkenne ich auch eine Nebenwirkung der Aufklärung, die Kant wahrscheinlich so noch nicht in Gänze geahnt hatte - den Individualismus. Aufgeklärte Menschen sind freie Menschen, und freie Menschen sind Individualisten. Entscheidungsfindung unter Individualisten ist aber alles andere als eine leichte Disziplin - sie setzt vor allem Selbstführung voraus.



nach oben springen

#7

RE: Aufklärung

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 14.02.2020 13:49
von Anthea | 12.400 Beiträge

Zum Intro:

Ich glaube, dass ein wichtiges Hindernis zum Ziel der "Autarkie" im Denken zu kommen ist, dass es vielen gar nicht bewusst ist, dass sie eigentlich denken lassen. Und hier überwiegt bei der Übernahme bereits fertig gedachter und formulierter Dinge schon wieder die Faulheit, da - oder wenn - andere Vordenker mit anderen Ansichten, Prämissen und Fazit nicht zum Vergleich mit herangezogen werden.

Keiner wird gezwungen, "das Rad neu zu erfinden" und darf sich gerne bereits fest installierten Wissens und Weisheiten bedienen. Und vielleicht selbst das Ganze, das Rad, noch etwas "runder" machen...

Im Falle einer eigenen Meinungsbildung ist es unerlässlich sich an Platons Höhlengleichnis zu orientieren. Sprich, vereinfacht: Eine Änderung des Blickwinkels durch Lösen der Fesseln (welche immer das sein mögen) in Angriff zu nehmen.

All das ist auch wieder "graue Theorie", denn eine wirkliche Befreiung durch Aufklärung wird es mMn nie geben. Denn es gibt zu viele Fundamente des menschlichen Geistes - und vor allen Dingen des Charakters - die sich immer irgendwo bei irgendetwas versagen werden.

---

---


Ich bin der Wahrheit verpflichtet, wie ich sie jeden Tag erkenne, und nicht der Beständigkeit.
Mahatma Gandhi


nach oben springen

#8

RE: Aufklärung

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 14.02.2020 15:01
von heiner | 881 Beiträge

Platon hatte eine Begabung, den Menschen ihre Sozialisation aufzuzeigen. Seine Höhlenbürger sind wie heranwachsende Kinder, sie bekommen einfache Erklärungen zu der Welt in der sie leben & sie reflektieren das (bei Mädchen verstärkt) zunächst im Kindesalter von ca. 4 Jahren, da wird erklärt, wie man die Welt sieht. Ja, wie ist das zumeist bei den Jungs zu werten, also ich habe meine Mutter gefragt, ob wir im zurückliegenden Krieg gewonnen haben, sie sagte nein. Schweren Herzens fragte ich sie am Tag danach, ob wir wenigstens den Krieg davor gewonnen haben? Wieder war die Antwort, nein. Nun glaubte ich, ein tapferer Soldat werden zu müssen, um all die Schmach auszuwetzen. Also spielten wir in den 1950er Jahren Soldat, das Sammeln von Waffen war kein Problem, man konnte überall welche finden.
Aus der Höhle in die Wirklichkeit gelangt, sah ich die konservativen Reglementierungen als eine Gefahr für die Freiheit, immerhin war ich der Höhle entkommen, in eine freie Zukunft. Nun war die Schattenwelt weit fort & die Zukunft nahe. Mit Willy Brandt sah ich, wie ich sehen lernen konnte, die Schatten vergaß. Heute greifen die Schatten zuweilen an meine Seele, wenn ich z.B. junge Menschen, wie Greta aus meiner Höhlenperspektive nicht recht wahrnehmen kann, sie zwar mag aber aus meiner Sicht der Höhlenmenschen wieder Schatten finde. Man darf nie vergessen, die Schattenwelt zerstört unser "Mensch sein", sie kann "Bunt" nur Anfeindung entgegen bringen, zurück in die Welt, aus der Finsterniss heraus, dieses Gefühl dürfen wir niemals vergessen, dort droht Höhle & Gefangenschaft.


Wir wollen eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet und mehr Mitverantwortung fordert. (Willy Brandt)
nach oben springen

#9

RE: Aufklärung

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 21.03.2020 11:38
von Findus | 2.515 Beiträge

Und dennoch werden andere Generationen andere Erfahrungen machen.
Die 1950er und ihre Lebensumstände wären bspw. etwas, was für mich nicht greifbar wäre. Die Haltung und das Handeln der Jugend ist mir deutlich verständlicher. Menschen, die in späteren Jahrzehnten aufgewachsen sind, haben mehr Freiheit erlebt. Freiheit ist etwas, dass z.B. die 68er erkämpft haben. Es gibt somit weniger Schatten.



zuletzt bearbeitet 21.03.2020 11:41 | nach oben springen


Besucher
1 Mitglied und 5 Gäste sind Online

Besucherzähler
Heute waren 17 Gäste und 1 Mitglied, gestern 274 Gäste und 3 Mitglieder online.

Forum Statistiken
Das Forum hat 2263 Themen und 50175 Beiträge.

Heute war 1 Mitglied Online :