#1

In Hangzhou

in Dies und das 28.03.2020 15:07
von Meridian | 2.862 Beiträge

Hangzhou zu Schanghai kann von den Größenverhältnissen vergleichen wie Potsdam zu Berlin, nur dass diese chinesischen Städte mit 200km etwas weiter auseinander liegen und beide deutlich größer sind. Hangzhou ist eine Provinzhauptstadt (der Provinz Zhejiang) und hat für China eine ähnliche Bedeutung wie Potsdam als Landeshauptstadt von Brandenburg. Schanghai ist zwar im Gegensatz zu Berlin nicht die Hauptstadt, aber eine regierungs-unmittelbare Stadt und hat den Rang einer Quasi-Hauptstadt. Regierungsunmittelbar sind auch Shenzhen (gegenüber von Hongkong), Chongqing (die große Stadt im südlichen Zentralchina, Nothauptstadt während des Krieges gegen Japan 1937-45) und Tientsin (nächstgelegene Hafenstadt von Peking).

Hatte Hangzhou 2000 noch 3,5 Mio Ew, sind es jetzt knapp 7 Mio (2017)

https://de.wikipedia.org/wiki/Hangzhou

Hangzhou ist eine der reichsten Städte Chinas mit zugleich nicht zu großen sozialen Unterschieden. In der Tat habe ich dort keine wirklichen Slums gesehen im Gegensatz zu Schanghai, Chongqing und Wuhan. Ich habe zwar ärmliche Behausungen gesehen, aber immer noch gemauert und mit "richtigen" Fenstern (nicht mit unförmigen Löchern ohne Glas wie in Wuhan). In einem zentralen Park ist der Westsee, ein großer See in der Stadt, der für eine etwas bessere Luftqualität sorgt. Dieser See ist mit typisch chinesischer Gartenkunst gestaltet, z.B. mit geschwungenen Brücken, Mondeingängen usw.

Viele Leute fahren nach Hangzhou der guten Luft wegen. Nunja, "gut" ist relativ. Für mich war die Luft schlecht, nach 2 Tagen ohne Regen staubig trotz hoher Feuchte. Aber auch viel Regen (keine Seltenheit) reinigt die Luft nicht. Als Ende Februar eine kalte Festlandsluft aus der Mongolei hereinbrach, war es sonnig mit kaltem Wind, d.h. nachts 0°C und tagsüber 15°C. Der Himmel war etwas klarer, aber immer noch hellblau, und die Sicht war bei 15km nach höchstens 5-6km. Mein Gedanke war: Wer Hangzhou schon als Ort mit guter Luft empfindet, für den muss Berlin ein Luftkurort sein. Sichtweiten von über 50km kommen immer wieder vor.

Umgeben ist Hangzhou von steilen, aber nicht hohen Bergen von nur wenig über 100m, auf denen einige Wanderwege verlaufen. Chinesische Wanderwege sind für den gemeinen Europäer eine Qual. Endlich froh, mal nicht Beton oder Asphalt unter den Füßen zu haben, beginnt schon bald für den Anstieg eine Betontreppe mit einer Stufenhöhe, die für den Europäer etwas zu klein ist, aber immer noch zu groß, wenn man 2 Stufen auf einmal nehmen möchte. Besonders bergab geht das mächtig in die Knie. Wo möglich, sind wir neben der vielen Treppen gelaufen. Oben auf den Gipfeln gibt es eine buddhistische Anlage, wo zentnerweise Räucherstäbchen verbrannt werden. Das Gebäude ist dennoch schön zu sehen.

Nach Hangzhou verliefen sich zumindest damals nur wenige Ausländer. So wurden wir als Europäer dementsprechend angestarrt. Oft riefen und die Chinesen so etwas nach wie "Hello!" Grüßten wir nicht zurück, hielt man uns für Russen. Am ehesten sind Ausländern noch in der Universität, wo auch mein Gastgeber war.


Die äußere Welt ist der Spiegel deines Inneren.
nach oben springen

#2

RE: In Hangzhou

in Dies und das 28.03.2020 15:44
von Meridian | 2.862 Beiträge

Zum Verkehr:

Damals gab es Busse und O-Busse (Oberleitungsbusse). Gefahren sind wir nur mit Bussen. Eine Fahrt kostete 1 Yuan (26Pf) bei Bussen mit reiner Zahlennr. War vor der Zahl ein K, dann bedeutete das "klimatisiert" (Zufall, das K und die deutsche Bedeutung übereinstimmten), musste man 2Y zahlen. Mit den O-Bussen sind wir nie gefahren. Eine U-Bahn gab es damals noch nicht.

Meistens waren wir mit den Fahrrädern unterwegs. Mein Gastgeber hatte zum Glück zwei Stück davon. Das Radwegenetz war gut. Radfahren war in CN ja noch sehr "in". Aber nicht aus Umweltbewusstsein, sondern weil damals sich nur wenige Chinesen ein Auto leisten konnte. Der Radverkehr hat in China ja stark abgenommen, doch laut wiki gibt es in Hangzhou Bemübungen, diesen durch Verleih wieder aufleben zu lassen.

Ganz ungefährlich war der Radverkehr nicht. Obwohl der Radwege oft so breit waren wie eine Autofahrspur je Fahrtrichtung, war der Radverkehr teilweise sehr dicht, und es gab immer wieder unerwartete Hindernisse, auf die man schnell reagieren musste: Verkaufsstand, offener Gullideckel, plötzlich haltender Radfahrer. Die Fahrbahnbeläge waren aber insgesamt gut.

Häufig gab es zu den Fahrrädern auch Dreiräder mit kleiner Ladefläche hinter dem Sattel. Was auf Fahrrädern alles transportiert wurde, war teils abenteuerlich. Folgende Beispiele gelten alle für die klassischen Zweiräder: Einmal sah ich einen Fernseher (natürlich noch ein Röhrengerät) auf dem Gepäckträger, ein anderes Mal eine Matraze, die der Fahrer mit Seilen auch an seinen Körper befestigt hat, und mein Gastgeber erzählte mir auch von einem Kühlschrank, der an die rechte Seite des Fahrrades gebunden wurde. Der Radfahrer hielt das Rad schräg nach links, um es im Gleichgewicht zu halten.

Manche Leute transportierten die Ware auch auf Schubkärren. Viele waren ähnlich unseren Kärren, aber oft noch aus Holz incl. der Räder wie in alten Zeiten. Da gab es auch welche, die aus nur zwei 6m langen Stangen mit den 2 großen Holzrädern in der Mitte bestanden. In einem Fall waren entlang der gesamten 6m ein mehrere Meter hoher Turm aus chaotisch gestapelten Gartenstühlen zusammengebunden.

Der Autoverkehr war oft chaotisch, aber eine Unfall habe ich nie gesehen. In Hangzhou galt damals (vermutlich auch heute) ein Hupverbot. Denn die Chinesen sind ein sehr hup-freudiges Volk. Tatsächlich wurde in Hangzhou selten gehubt. Meistens verwendeten sie die Lichthupe. Lichthupe bedeutet damit häufig das Gegenteil wie hierzulande. Es bedeutet etwas so: "Weg frei! Jetzt komme ich!" Lichthupe in DE bedeutet oft, dass man Fußgängern oder anderen Autofahrern den Vortritt lässt, außer auf der Autobahn, wenn ein Drängler von hinten die Lichthupe bedient.
Auf jeden Fall irritierte mich die Lichthupe anfangs. Doch als ich in Chongqing und Wuhan war, lernte ich das Hupverbot in Hangzhou zu schätzen. in den anderen Städten gilt das nicht. Dementsprechend war dort oft ein Höllenlärm. In Chongqing hatte ich sogar den Eindruck, dass das Unterbrechen der Hupe das eigentliche Warnsignal war. Da klebten die Finger auf der Hupe regelrecht...

Wenn man eine größere Straße in Hangzhou überquerte, musste man zuerst auf den kleinen Verkehr achten: Radfahrer, Schubkarren, Mopeds, Rickschas, dann Spur für Spur auf den Autoverkehr und am Ende wieder den kleinen Verkehr von der anderen Seite. Falsch war es, stehen zu bleiben. Wer stehenbleibt, macht sich zu einer festen Verkehrsinsel und kann Wurzeln schlagen. Man schaut auf den Verkehr, geht aber langsam voran. Irgendwie schaffen es alle, vor einem vorbeizukommen. Fahren sie auf einmal hinter einem vorbei, ist eine Spur gewonnen. Kurz stehenbleiben nur, wenn ein Autofahrer die Lichthupe bedient, oder besser entlang der Spur weiterlaufen und möglich schnell wieder in die alte Richtung zurückschwenken. Irgendwie geht es, der asiatische Verkehrstrom ist flexibel. [Zurück in Berlin habe ich diese Art nur einmal probiert, bin sofort angehupt worden. Die preußische Verkehrsordnung hat kein Verständnis für solche Straßenquerungen.]

Was die Ampeln betrifft, hielten sich die Chinesen erstaunlich gut daran. Zusätzlich gab es Zeitzähler, die anzeigten, wie lange die Grün- bzw. Rotphase noch dauerte. Eher reagierten die Chinesen zu früh: Bei 2sek noch Grün hielten viele schon an, bevor es überhaupt auf gelb schaltete. Dafür fuhren sie gerne schon 1-2sek vor Ende der Rotphase los. Chaos gab es oft, wenn dann doch welche in den letzten Sekunden der Grünphase oder sogar bei gelb die Kreuzung querten und mit denen zusammen gerieten, die schon 2sek vor Ende der Rotphase losfuhren. Dazu kam, dass im gesamten Kreuzungbereich (also hinter der Haltelinie und den Zebrastreifen) keine Fahrbahnmarkierung zu sehen war. Besonders lustig war eine Kreuzung, bei der ein O-Bus zu weit weg von der Oberleitung fuhr, der Kontakt verloren ging und dann hilflos mitten auf einer wichtigen Kreuzung stand.

Hier ein Video, zwar ohne Ampeln, aber passend. Man beachte, dass möglichst niemand anhalten will. Das Hupen ist offensichtlich dort nicht verboten.

https://www.youtube.com/watch?v=Y8bfNplEmfo

Den Vorteil haben eindeutig Zweiräder.


Die äußere Welt ist der Spiegel deines Inneren.


zuletzt bearbeitet 28.03.2020 15:45 | nach oben springen

#3

RE: In Hangzhou

in Dies und das 28.03.2020 16:25
von Meridian | 2.862 Beiträge

Essen besorgen in Hangzhou.

Da gibt es Supermärkte wie bei uns, aber auch die Markthalle mit Marktständen der umgebenden Bauern, die ihre Ware anbieten.

In den Supermärkten sah es ähnlich aus wie bei uns. Doch an der Kasse fiel mir auf: Es gab keine Förderbänder. Man legte die Ware auf den Tisch, die Kassiererin schob sie durch, tippte die Preise ein und kassierte das Geld. Erst bei Vorbeigehen fiel mir auf, dass die Kassiererin nicht auf einem Stuhl saß, sondern stand. Vermutlich 8h stehen ist schon ein harter Arbeitsprozess.

Interessanter war der Markt. Dort musste man ggf. bei den Preisen handeln. Gerade als erkennbar westlicher Ausländer wird die Ware gerne teurer angeboten. Mein Gastgeber war aber dort schon bekannt, und nach ersten Erfahrungen ließ er sich nicht mehr übers Ohr hauen. Es gab viel für uns bekanntes Gemüse und darüberhinaus noch mehr. Auch gab es Fleisch, Fisch und andere Meerestiere. So wurden Krabben lebendig angeboten .Dort schwimmen sie noch im Wasser. Man konnte welche kaufen, dann bekam man sie in einer mit einem Gas aufgeblähten Plastiktüte. So konnte sie noch ca. 15-30min ohne Wasser überleben. Wichtig war, dass man sofort heim ging, Öl in den Wok gab, dieses rasch erhitzte bis zum Rauchen und dann die Krabben lebendig reinwarf. Geschmeckt haben sie sehr gut, aber mit den Stäbchen die nicht ausgepulten Krabben richtig zu essen, war mal wieder ein voller Arbeitseinsatz.

Ich weiß, das ist Tierquälerei, aber für Chinesen ist ein Tier ein Ding, das zu funktionieren hat. Viele glauben bis heute, dass Tiere keine Schmerzen empfinden. Das ist hier eindeutig ein trauriges Kapitel in der chinesischen Mentalität. Aber sind wir beim Thema Tierhaltung in Europa so viel besser? Eher wiegt noch schlimmer, dass es in Europa sehr wohl ein Bewusstsein gibt, wonach Tiere Schmerz empfinden, aber die Massentierhaltung trotzdem unter teils erbärmlichen Bedingungen stattfindet.

Auch in Supermärkten (nicht in jedem) werden Fische und Amphibien frisch angeboten. Sie sind noch in Aquarien und Terrarien, und wenn man einen wollte, wurde es rausgenommen, rasch getötet, ausgenommen und verpackt. Bessere Restaurants haben übrigens auch Aquarien, wodurch sie ihr Essen möglichst lange frisch halten.

Zurück zum Markt. Wie gesagt: Wenn man bekannt ist, hauen sie einen nicht mehr übers Ohr. Auch ich hatte Glück, denn mein Gastgeber hat mir die Zahlen von 1 bis 10 auf chinesisch beigebracht, damit ich wusste, wieviel zu zu bezahlen hatte. Einmal bis ich alleine dort einkaufen gegangen zum Obststand (Erdbeeren, Bananen und Ananas). Der Preis war für die Menge gerechtfertigt. Interessant was die Ananas, bei deren Kauf folgender Service enthalten war: Ein Mitarbeiter schälte den lieben langen Tag nur Ananas für die Kunden vermutlich für einen Hungerlohn. (Oder der Obststand gehörte beiden, und sie wechseln sich mit der undankbaren Arbeit ab.) Um sich wegen der Stacheln und der Fruchtsäure nicht zu verletzen, trug er Lederhandschuhe. Er hielt mit der Linken die Ananas am Strunk, und mit der rechten schälte er sie mit einem krummen, aber scharfen Messer. Die Schale wurde innerhalb von 10sek los; dann schälte er die Stachelwarzen nach einem bestimmten Muster heraus, was weniger als 1min dauerte. Zum Schluss musste man die Plastiktüte unter die geschälte Ananas bereit halten, die der Schäler dann vom Strunk trennte.


Die äußere Welt ist der Spiegel deines Inneren.
nach oben springen

#4

RE: In Hangzhou

in Dies und das 28.03.2020 16:49
von Meridian | 2.862 Beiträge

Im Taxi:

Taxis waren in den Städten in China verbreitet verfügbar. Auch waren sie deutlich billiger als hierzulande, aber immer noch deutlich teurer als Busse. Der Preis war bei 5Yuan (1,30DM) pro km. Beim Taximeter zählte dabei nur die gefahrene Strecke, nicht die Zeit. In Schanghai gab es auch einen Zeitzähler, der aber nur anging, wenn das Taxi zu Stehen kam (z.B. an einer roten Ampel oder im Stau). Ich habe bei besagtem Schanghaier Fahrer gesehen, dass er es regelrecht darauf anlegte, dass die Ampeln vor seiner Nase auf rot schalteten.

Setzt man sich auf den Beifahrersitz, dann ist ja für uns Europäer das erste, sich anzuschnallen. Auch ich machte es - und erntete einen empörten Blick des Taxifahrers. Anschnallen bedeutet, dass man dem Fahrer nicht traut. Auf der Rückbank gab es sowieso keine Gurte. Die Fahrweise mancher Taxifahrer war durchaus abenteuerlich. Einmal kam ich mir vor wie in einem James-Bond-Film auf Verfolgungsjagd. Nun, Anschnallpflicht herrschte damals nur auf der Autobahn.

Telefon:

2001 waren Handy noch nicht sehr verbreitet. Die Wohnung meines Gastgebers hatte ein Festnetztelefon. Mit diesem ging man sparsam um, denn Telefonieren war mit Ausnahme der Grundgebühr teurer als in Deutschland, wo man damals schon mit Call-by-call relativ günstig nach China telefonieren konnte, wenn auch mit Einbußen in der Gesprächsqualität.
Ansonsten gab es alle paar 100m öffentliche Telefone, betrieben meist in Läden, die am ehesten dem Kiosk in DE entsprachen. Für 1Yuan konnte man dort ein Gespräch führen. Telefonzellen gab es hingegen nicht.

Strom war auch für chin. Verhältnisse sehr teuer. Eine kWh kostete 1Yuan (26Pf), was etwas genauso teuer war wie in DE. Die Grundgebühr war zwar sehr niedrig, aber für den gemeinen Chinesen war 1Y etwa genauso wertvoll wie bei uns 1DM. Die zahlreichen Klimaanlagen wurden jedenfalls sparsam eingesetzt.

Und komme ich schon zum nächsten Thema: Heizen und kühlen der Wohnung.
Südlich des Jangtse-Flusses (und das gilt auch für Hangzhou) haben Häuser keine Heizung. Die Klimaanlagen könnten helfen, aber man ließ sie wenn möglich aus. In Berlin habe ich nicht nur mit den Stäbchen 1 Woche vor der Abreise nach CN lange geübt, sondern auch in dieser Woche das Kälteaushalten: Die Heizung habe ich immer weiter reduziert; am Ende waren in der Wohnung nur noch 15°C, und ich konnte es aushalten. In Hangzhou waren es aber oft nur 12°C in der Wohnung, und bei Regenwetter saß man drin und fror. Viel grüner Tee wurde getrunken, um sich aufzuwärmen. Die Wärmeisolierung war schlecht. An einem warmen Tag wurde es auch im Haus schnell warm, aber auch umgekehrt.

Im Sommer ist es in den Häusern kaum noch zum Aushalten. Zw. Mitte Mai und Mitte September sinkt die Temperatur nachts nur sehr selten unter 20°C; tagsüber hat es bei hoher Feuchte bis zu 38°C, bei Dauerregen herrscht Waschküchenwetter bei 25°C. Da wird die Klimaanlage am immer wieder genutzt, wie mein Gastgeber erzählte. Sonst würde man es nachts nicht aushalten. Meist weht auch fast kein Wind.


Die äußere Welt ist der Spiegel deines Inneren.
nach oben springen

#5

RE: In Hangzhou

in Dies und das 29.05.2020 18:57
von Meridian | 2.862 Beiträge

Hier noch ein Erlebnis in Hangzhou. Ein Freund, den mein Gastgeber in dieser Stadt kennenlernte, hat uns zu einem guten Essen bei sich zuhause eingeladen. Da er noch auf dem Markt einiges einkaufen musste, vereinbarten wir uns, dort zu treffen. Nach dem Einkauf sollte es zu seiner Wohnung gehen. Die Frage war aber wie. Zu Fuß war ihm zu weit, mit dem Taxi zu kurz. Man entschied sich für eine Zwischenlösung: Rikschah. Dummerweise waren wir zu dritt. Ein Rihschah nahm aber nur 2 Personen auf. Doch der Chinese konnte einen überreden, uns alle 3 mit zu nehmen.

Das Rikschah war motorisiert wie ein Moped. Hinten saßen wir auf der Bank, und es war wirklich eng. Ich saß links, d.h. ich hing mehr drin, als dass ich saß. Mein Hintern hing noch ein wenig heraus. Als der Verkehr sehr dicht wurde, fuhr der Fahrer zw. Gehweg und Bus durch. Er passt gerade durch. Ich drückte nach rechts, damit mein Hintern nicht am Bus hängen blieb. Der Chinese beklagte sich, ich möge nicht so drücken...

Danach war die Straße komplett verstopft. Nur eine grobe Betonrampe führte auf den 30cm höheren Gehweg. Mein Gastgeber meinte nicht ganz ernst, ob der Fahrer nicht auf den Gehweg fahren könne. Der Chinese tat nichts besseres, als dem Fahrer genau das zu befehlen. Der Fahrer nahm Anlauf und fuhr auf die Rampe zu. Der Chinese meinte nur ungläubig: "Du, der macht das wirklich!" Ich hielt die Luft an, denn ich war mir sicher, dass etwas passieren wird. Auf jeden Fall wird das nicht gut gehen.

Im nächsten Moment lagen wir auf dem Rücken - und der Fahrer hing in der Luft über uns, der Motor knatterte immer noch. Was geschah? Ganz einfach. Die Rückbank dieses Gefährts war hinter den Hinterrädern montiert. So war durch uns dreien der Schwerpunkt weit hinten. Als das Rikschah auf die Rampe geraten war, kippte es einfach nach hinten.

Wir stiegen schnell aus, das Gefährt kippte wieder nach vorn, der Motor ging aus. Der Chinese bezahlte eiligst und meinte nur "bloß weg hier". Wir waren eh fast in seiner Wohnung angelangt. Die letzten Meter dorthin fingen wir immer an zu lachen über dieses Erlebnis. Ich habe im übrigen eher damit gerechnet, dass das Rikschah wegen seiner geringen Bodenfreiheit aufsitzen würde.


Die äußere Welt ist der Spiegel deines Inneren.
nach oben springen

#6

RE: In Hangzhou

in Dies und das 29.05.2020 19:14
von Meridian | 2.862 Beiträge

Beim Gastgeber angekommen hat er uns verschiedene Leckereien aufgetischt. Manche waren gut, manche gewöhnungsbedürftig. Doch er hatte mich im Visier, und zwar mit Alkohol. Es gab Reiswein, und er meinte, dass wir jedesmal das Glas leer trinken müssten, wenn er ein deutsches Wort sagte. Der Reiswein hatte 16% Alkohol und wurde ganz normal in Trinkgläsern (die wir hierzulande für Mineralwasser oder Saft verwenden) eingeschenkt.

Und los ging es mit den deutschen Wörtern. Den Nazigruß sagte er gottseidank nicht. Aber viele Chinesen kennen ihn, wenn sie auf die Frage nach der Nationalität "Chhhail Chiteler" sagen. Ist aber nicht böse gemeint gegen Deutsche. Zu Deutschen haben die Chinesen eher ein positives Verhältnis, zu Hitler ein für uns Widersprüchliches. Sie bewundern ihn für sein Organisationstalent ("der hat wenigstens was zustandegebracht"), aber sie sehen es bei den Deutschen sehr positiv, dass sie sich für Kriegsgräuel entschuldigen können. Auf die Entschuldigung von Japan warten sie bis heute.

Zurück zum Gastgeber. Der wusste leider mehr, als ich ahnte. Es fing an mit "Bayan Münnich". Ich trank immer nur je einen kleinen Schluck, zumal Reiswein nicht so mein Ding war. Trotzdem schenkte er immer nach, so dass mein Glas randvoll blieb. Aber ich wollte den Chinesen nicht beleidigen. Dann folgten stets gefolgt von einem Prost:

"Wi Äff Bi Stuttigarti" (für Chinesen ein grausames Wort)
"Wardar Brämmen"
"Bu'ussa Dortimunde"
"Harta Ba Äss Tsäh Barlin"

Und noch mehr Clubs. Die Bundesliga kannte er jedenfalls. (Tut mir leid. Fortuna Düsseldorf war damals nicht drin.)

Am Ende fragte er noch, ob jemand Reis wolle. Ich sagte zu - und trat in ein typisch chinesisches Fettnäpfchen. Denn der Chinese beklagte sich, dass mir das Essen nicht geschmeckt hätte. Ich wollte den Reis nur, um den Alkohol ein wenig zu verdünnen. Außerdem haben ich ihn als Grundnahrungsmittel vermisst. Mein Gastgeber konnte aber dem Chinesen erklären, dass man in Europa stets bei jedem Essen ein Grundnahrungsmittel enthalten hat: Reis, Kartoffeln, Nudeln oder Brot, früher auch Hirse (das im Mittelalter die wichtigste Grundnahrung war). In China ist Reis die einzige Grundnahrung. Doch die Chinesen sind in dieser Hinsicht schleckig: Gibt's was besseres, meidet man ihn. Reis bekommt man auch so oft genug.Die Frage nach Reis am Ende eines Essens ist eine reine Höflichkeitsfloskel, die normalerweise genauso höflich mit einer Ablehnung beantwortet wird, um einen Gesichtsverlust zu vermeiden. Ich habe ihm unwissentlich das Gesicht genommen, aber mein Gastgeber konnte die Situation bereinigen. So ging der Abend doch noch freundlich zu Ende. Trotz mäßiger Trunkenheit schafften wir den Heimweg ohne Mühe.


Die äußere Welt ist der Spiegel deines Inneren.
nach oben springen


Ähnliche Themen Antworten/Neu Letzter Beitrag⁄Zugriffe
Zugfahren in China
Erstellt im Forum Dies und das von Meridian
5 27.05.2020 00:27goto
von Meridian • Zugriffe: 386
Meine Zeit in Wuhan
Erstellt im Forum Dies und das von Meridian
4 25.03.2020 17:29goto
von Meridian • Zugriffe: 241

Besucher
0 Mitglieder und 4 Gäste sind Online

Besucherzähler
Heute waren 83 Gäste und 1 Mitglied, gestern 358 Gäste und 3 Mitglieder online.

Forum Statistiken
Das Forum hat 2267 Themen und 50204 Beiträge.

Heute war 1 Mitglied Online :