#1

Pflegenotstand

in Deutschland 03.01.2018 17:21
von sagittarius (gelöscht)
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Ein Thema das erst durch einen Pfleger in einem Gesprächsforum mit der Kanzlerin wieder einmal zum Thema wurde.Seit Jahrzehnten ist die Situation in der Pflege akut und wird sich Prognosen zufolge noch verstärken.Für gewöhnlich beachtet die Politik dieses Thema nicht.Bisher lief es ja so einigermaßen,wenn auch auf Knochen der Beschäftigten und der Pflegenden.Die in der menschlichen Resteverwertung Beschäftigten erhalten,um die Rendite der in diesem Bereich arbeitenden privaten Firmen zu sichern,gewöhnlich nur Teilzeitverträge obwohl sie meist Vollzeit arbeiten.Die Überstunden werden zwar vergütet allerdings ohne jegliche Zuschläge.Bei Krankheit oder Urlaub werden natürlich nur die im Arbeitsvertrag festgelegten Arbeitszeiten zugrunde gelegt nicht die tatsächlichen.Über Löhne in diesem Bereich möchte ich nicht sprechen,es sind eher Aufwandsentschädigungen.Wenn die Leistungsträger der Gesellschaft am Ende ihrer Kräfte angekommen sind und zum Pflegefall wurden,entzieht man ihnen sofort die Anerkennung die man ihnen zumindest verbal immer zukommen ließ und stuft sie nun als Wirtschaftsgut ein dass im Zuge der Resteverwertung auch noch Profit einbringt.Ich selbst arbeite in diesem Bereich,ausschließlich mit an Demenz erkrankten Menschen,die ihrem Alter entsprechend noch zusätzlich körperliche Einschränkungen haben.Solange der Profit an erster Stelle steht wird sich in diesem Bereich nichts ändern,nur absolute Enthusiasten werden diesen Beruf ergreifen denn leben kann man davon nicht wirklich.Aber wenn es um die Rendite in Deutschland geht müssen solche kleinlichen Argumente natürlich hinten anstehen.Arbeitsmäßig sind die zu Betreuenden ohnehin nicht mehr verwertbar also lassen wir sie wenigstens noch vegetieren und machen noch ein Geschäft daraus.


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#2

RE: Pflegenotstand

in Deutschland 03.01.2018 17:41
von Anthea | 12.415 Beiträge

Zitat von sagittarius im Beitrag #1
Ein Thema das erst durch einen Pfleger in einem Gesprächsforum mit der Kanzlerin wieder einmal zum Thema wurde.Seit Jahrzehnten ist die Situation in der Pflege akut und wird sich Prognosen zufolge noch verstärken.Für gewöhnlich beachtet die Politik dieses Thema nicht.Bisher lief es ja so einigermaßen,wenn auch auf Knochen der Beschäftigten und der Pflegenden.Die in der menschlichen Resteverwertung Beschäftigten erhalten,um die Rendite der in diesem Bereich arbeitenden privaten Firmen zu sichern,gewöhnlich nur Teilzeitverträge obwohl sie meist Vollzeit arbeiten.Die Überstunden werden zwar vergütet allerdings ohne jegliche Zuschläge.Bei Krankheit oder Urlaub werden natürlich nur die im Arbeitsvertrag festgelegten Arbeitszeiten zugrunde gelegt nicht die tatsächlichen.Über Löhne in diesem Bereich möchte ich nicht sprechen,es sind eher Aufwandsentschädigungen.Wenn die Leistungsträger der Gesellschaft am Ende ihrer Kräfte angekommen sind und zum Pflegefall wurden,entzieht man ihnen sofort die Anerkennung die man ihnen zumindest verbal immer zukommen ließ und stuft sie nun als Wirtschaftsgut ein dass im Zuge der Resteverwertung auch noch Profit einbringt.Ich selbst arbeite in diesem Bereich,ausschließlich mit an Demenz erkrankten Menschen,die ihrem Alter entsprechend noch zusätzlich körperliche Einschränkungen haben.Solange der Profit an erster Stelle steht wird sich in diesem Bereich nichts ändern,nur absolute Enthusiasten werden diesen Beruf ergreifen denn leben kann man davon nicht wirklich.Aber wenn es um die Rendite in Deutschland geht müssen solche kleinlichen Argumente natürlich hinten anstehen.Arbeitsmäßig sind die zu Betreuenden ohnehin nicht mehr verwertbar also lassen wir sie wenigstens noch vegetieren und machen noch ein Geschäft daraus.


Ich hoffe, dass, da du in dem Pflegebereich für diese Menschen arbeitest, diesen Beruf für dich als Berufung ansiehst. Ich will nicht hoffen, dass du deinen berechtigten Frust hinsichtlich schlechter Bezahlung und Arbeitsbedingungen und Versäumnisse, Aufschiebungen und Versprechungen zur Beseitigung von Missständen seitens der Politik auf alte und kranke Menschen überträgst.
Somit wäre es besser gewesen, wenn du das von mir gefettete Wort in Anführungszeichen geschrieben hättest. Dann wäre klarer herausgekommen, dass du die zynische und desinteressierte Einstellung der Politiker meinst.
Denn menschenverachtend bist du doch wohl nicht...
Mir sträubten sich die Nackenhaare, als ich das Wort las.

---


Ist das, was das Herz glaubt, nicht genau so wahr wie das, was das Auge sieht? Khalil Gibran


zuletzt bearbeitet 03.01.2018 17:43 | nach oben springen

#3

RE: Pflegenotstand

in Deutschland 03.01.2018 17:52
von sagittarius (gelöscht)
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Wer keine Empathie empfindet kann in diesem Beruf nicht arbeiten,jedenfalls nicht dauerhaft.Die physischen Belastungen sind da noch das Wenigste,nur wer Verständnis und Zuneigung zu den Betroffenen entwickelt, wird auch mit den unvermeidlichen psychischen Belastungen fertig.Von daher mach Dir keine Sorgen,für mich sind Menschen kein Wirtschaftsgut.Aber im Gegensatz zu den Verhältnissen in skandinavischen Ländern werden in D Alte und Kranke so gesehen und behandelt.Ja,der Begriff "menschliche Resteverwertung" ist sehr zynisch,das weiß ich, trifft aber bei einer profitorientierten Pflege zu.


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#4

RE: Pflegenotstand

in Deutschland 03.01.2018 18:06
von SirPorthos | 3.127 Beiträge

Moin,

erst mal "Hut ab" vor Deiner verantwortungsvollen Tätigkeit. Du leistest damit mehr als die meisten überzahlten Manager und erst recht als ich. Ich kenne die Problematik von meinem Partner. Er arbeitete als Pfleger in einem Pflegeheim für an Multiple Sklerose erkrankte Menschen. Schlecht entlohnt und mit vielen Überstunden. Er bekam Rückenprobleme, weil er die armen Menschen morgens in den Rollstuhl heben musste.

Er hat seinen Beruf aufgegeben, weil er es nicht mehr schaffte. Ausschlaggebend war ein für ihn erschreckendes Ereignis. Ein Patient war eines morgens verschwunden. Man suchte fieberhaft und mein Partner fand ihn in der großen Mülltonne, die kurz vor der Entsorgung stand. Wie er dort reinkam, weiß niemand.

Auch ich war vor einigen Jahren schwer erkrankt und mehr als 6 Monate halbseitg bewegungsunfähig. Gott sei es gedankt, bin ich wieder fit. In dieser Zeit, die ich mittlerweile nicht als Strafe sondern wichtige Lektion meines Lebens empfinde, habe ich erkannt, welchen schweren Dienst die Pflegekräfte leisten. Es ist jetzt 6 Jahre her, aber ich kenne noch alle Schwestern mit Vornamen und bin regelmäßig im Krankenhaus und bringe selbstgemachten Kuchen mit. Zum Glück nicht als Patient sondern als Gast. Sogar ein Stück für Schwester (Feldwebel) Svetlana, die mich jeden morgen mit einer Trombosespritze aus den Träumen jagte. :)

Der Dienst, Menschen in schweren Zeiten zu helfen oder sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten, ist unbezahlbar.

Ich denke nicht, dass die Politik dieses Thema in den Griff bekommt. Wir leben leider in einer Gesellschaft, in der nur sogenannte "Leistungsträger" Achtung erfahren. Familienbande werden immer unwichtiger. Alte und Kranke werden abgeschoben, denn man muss ja selber arbeiten gehen. Daher sollte die Veränderung in uns selber stattfinden !

Meine Mutter ist in den 70er Jahren ihres Lebens. Ich stamme aus einer großen Familie und habe 5 jüngere Geschwister. Wir haben vor einem Jahr vereinbart, dass in dem Fall ihrer Pflegebedürftigkeit wir uns um sie kümmern, soweit es medizinisch verantwortbar ist. Dann arbeiten wir halt einen Tag weniger in der Woche. Das ist nicht für jeden einfach, aber unsere Mutter ist es uns wert.

Gruß aus Hamburg !


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#5

RE: Pflegenotstand

in Deutschland 03.01.2018 19:03
von sagittarius (gelöscht)
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Ich kann Dich/Euch nur bestärken wenn ihr eure Mutter möglichst in ihrem Umfeld pflegen möchtet.Solange es sich nur um körperliche Einschränkungen handelt ist das durchaus möglich wenn auch sehr stressig für die Pflegenden.Meine Erfahrung zeigt mir,dass selbst schwer an Demenz Erkrankte wissen,dass sie früher ein anderes Zuhause hatten als die Einrichtung in der sie jetzt leben.Die meisten leiden sehr unter dem objektiven Verlust ihrer Familie bzw. ihres familiären Umfeldes.Diesen Verlust können wir nur eingeschränkt ersetzen.Noch schwieriger wird es für Menschen die bewusst wahrnehmen,dass sie in ein Heim gehen müssen.Von daher kann ich es nur begrüßen wenn die Angehörigen sich dafür entscheiden die Pflege selbst zu übernehmen.Ich kann Dir aber jetzt schon versprechen dass eure Belastungsgrenzen ständig ausgetestet werden.Ich spreche da aus Erfahrung,bis zu ihrem Tod im letzten Jahr wurde unsere Mutter gemeinschaftlich von mir und meinen Geschwistern gepflegt.Am Ende wird es ein Vollzeitjob,den ein Einzelner kaum schaffen wird.


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#6

RE: Pflegenotstand

in Deutschland 03.01.2018 19:40
von SirPorthos | 3.127 Beiträge

Moin,

ich weiß nicht was die Zeit bringt. Eide können geleistet werden, aber die Bewährungsprobe ist die Zeit, da sie erfüllt werden müssen.

Ich kann nur aus meiner Erfahrung berichten. Mein Großvater starb zuhause als ich 2 Jahre war. Meine Großmutter ist zuhause gestorben und ich hielt ihre Hand dabei. Und auch bei einer alleinstehenden alten Nachbarin war ich in ihrer letzten Minuten bei ihr. Ich stamme aus einem Dorf und keiner Großstadt. Es war Tradition, alte und kranke Menschen nicht abzuschieben. Natürlich nur, soweit sie keine dauernde spezielle medizinische Versorgung brauchten, die ein "Laie" nicht leisten kann.

Bzgl. Demenz habe ich nur eine Erfahrung aus meiner eigenen Zeit im Krankenhaus/Reha als Patient. Ich konnte noch nicht laufen und war an den Rollstuhl gefesselt. Ich sah eine alte Dame, die mit einem Rolli laufen konnte. Ich habe mir gewünscht, das auch zu können. Wir kamen dann auf der Terrasse ins Gespräch. Sie war Lungenärztin im Ruhestand und 85 Jahre alt. Hochintelligent und belesen. Wir haben soviel geredet und sogar das Abendessen verpasst. Am nächsten Tag traf ich sie wieder. Sie sah mich an und fragte....."kann es sein, dass wir uns kennen ?". Dann war es mir klar, dass sie an Demenz leidet. Aber das machte mir nichts aus. Wir haben uns täglich über 2 Wochen gesehen und ich habe immer wieder dasselbe erzählt. Dann kam plötzlich nach 2 Wochen der Tag, an dem sie mich mit Namen begrüßte und sich an unser Gespräch erinnerte.

Das war ein wunderschöner Tag.

Gruß aus Hamburg !


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