Erinnerungskultur und Dauerkult
RE: Erinnerungskultur und Dauerkult
in Alles rd. um Familie, Jugend, Kriminalität, Gesetze, Sozialstaat uvm 26.03.2018 20:46von Till (gelöscht)
Zitat von moorhuhn im Beitrag #12
Dauerkult:
- verinnerlichte und verordnete Hypersensibilität in Bezug auf Rassismus und Antisemitismus in nunmehr allen Lebensbereichen, Totschlagargument
- Allen voran, schwierige politische Beziehungen zum Ausland, wo man auf Deutschland regelmäßig die Nazikeule niedersausen lässt, obwohl man selbst die Menschenrechte mit Füßen tritt.
- Man vergewaltigt Kulturgut, indem man systematisch die Sprache/Begrifflichkeiten bereinigt, um farbigen Mitbürgern nicht auf die Füße zu treten, grusel
- Auch fast 80 Jahre nach dem 3. Reich bestimmt vorrangig dessen Aufarbeitung die gesellschaftliche Szene, Ereignisse der jüngeren Geschichte dagegen geraten ins Hintertreffen. Dies ist m.E. auch ein Grund, warum neofaschistische Kräfte Aufwind bekommen.
Danke für die sachlichen Argumente, die ich in Teilen eigentlich schon früher erwartet hatte.
1. Es ist eine Sache des persönlichen Temperamentes, ob man die Sensibilität gegenüber Rassismus heute übertrieben findet. Allerdings sollte man zwischen offiziellen und persönlichen "Kapagnen" unterscheiden. Die heutigen asozialen Medien haben den unschönen Effekt, Meinungen Einzelner zeitweise über Gebühr zu betonen, aber häufig doch zeitlich beschränkt. Über die Mohren-Apotheke in Frankfurt beispielsweise redet heute niemand mehr. "10 kleine Negerlein" würde ich allerdings nicht als "Kulturgut" bezeichnen.
2. Mit Dummheit muss man leben, auch bei ausländischen Staatsoberhäuptern. Ich bin allerdings immer wieder erstaunt, wie schnell man nach dem Krieg Deutschland wieder in den Kreis der "zivilisierten" Staaten aufgenommen hat. Wie man im Ausland auf deutsche Politik reagiert, egal ob offiziell oder inoffiziell, hängt halt auch von der politischen Großwetterlage ab.
Ich war Mitte der 80er mit einer Reisegruppe in Russland, ausgerechnet in der zweiten Mai-Woche. Meine Erfahrungen dort waren erstaunlich unterschiedlich: In Moskau waren die Menschen offen und freundlich, in Leningrad ernteten wir feindselige Blicke, wenn man uns als Deutsche erkannte; angesichts der Geschichte Leningrads hat mich das allerdings nicht wirklich überrascht. 2014 habe ich davon nichts mehr gespürt. Aber auch in der Tschechoslowakei oder Jugoslawien hatte ich keine Probleme. Allerdings gab es früher wohl Gegenden in Jugoslawien, die man als Deutscher besser gemieden hat.
3. Ich hätte mir gewünscht, dass die Verbrechen während der Nazidiktatur nur halb so effizient verfolgt worden wären wie die unter der SED. Bärbel Bohley hat sich bekanntlich beklagt, „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat“, aber immerhin. In der BRD wurde die Verfolgung der Naziverbrechen häufig genug biologisch gelöst.
RE: Erinnerungskultur und Dauerkult
in Alles rd. um Familie, Jugend, Kriminalität, Gesetze, Sozialstaat uvm 26.03.2018 22:20von moorhuhn • | 1.486 Beiträge
"10 kleine Negerlein" würde ich allerdings nicht als "Kulturgut" bezeichnen.
An die hab ich auch nicht gedacht, eher an Otfried Preußler, Astrid Lindgreen oder sogar an den alten Schiller. Und auch wenn angeblich über die "Mohrenapotheke" keiner mehr ein Wort verliert, so hinterlassen Überlegungen, den Namen zu eliminieren in meinen Augen Armseligkeit und biedere Unterwürfigkeit. Schon das ist ein Trend, der aktuelle Politik bei jungen Leuten nur ein müdes Lächeln abgewinnt!
2. Mit Dummheit muss man leben, auch bei ausländischen Staatsoberhäuptern. Ich bin allerdings immer wieder erstaunt, wie schnell man nach dem Krieg Deutschland wieder in den Kreis der "zivilisierten" Staaten aufgenommen hat. Wie man im Ausland auf deutsche Politik reagiert, egal ob offiziell oder inoffiziell, hängt halt auch von der politischen Großwetterlage ab.
Mir musst du das nicht erklären und der Spruch: "Mit Dummheit muss man leben, auch bei ausländischen Staatsoberhäuptern.", ist so gar nicht pädagogisch wertvoll. Das hieße nämlich im Umkehrschluss, dass man auch die Verbrechen eines Adolf Hitler darauf reduziert, zumindest im Gehirn der Nachgeborenen.
Dein Erstaunen mag dir unbenommen zu sein, allerdings sind es auch wieder Prozesse, die ewig her sind und wenig taugen, die aktuellen zu rechtfertigen.
3. Ich hätte mir gewünscht, dass die Verbrechen während der Nazidiktatur nur halb so effizient verfolgt worden wären wie die unter der SED. Bärbel Bohley hat sich bekanntlich beklagt, „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat“, aber immerhin. In der BRD wurde die Verfolgung der Naziverbrechen häufig genug biologisch gelöst.[/quote]
Ja, auch das sind olle Kamellen und treffen nicht das eigentliche Problem. Genau wie anno Zwieback wurden SED- Verbrechen nicht konsequent aufgearbeitet, sondern mit neuen politischen Verhältnissen begraben. Dass es diesmal rechtsstaatliche Verhältnisse waren, macht die Sache noch schlimmer!
RE: Erinnerungskultur und Dauerkult
in Alles rd. um Familie, Jugend, Kriminalität, Gesetze, Sozialstaat uvm 26.03.2018 22:41von Till (gelöscht)
An den alten Schiller will ernsthaft keiner ran. Astrid Lindgren ist eh keine Deutsche; Übersetzungen an die heutige Sprache anzupassen ist seit je her gang und gäbe, davor blieb nicht einmal die Luther-Bibel verschont. Aber dass Kinderbücher frei von rassistischen Redewendungen sind, finde ich besonders wichtig.
Die Verbrechen Hitlers mit der Dummheit einiger aktueller Politiker gleichzusetzen - ich hoffe, ich habe dich dabei irgendwie missverstanden.
Dass du auf die Aufarbeitung der Verbrechen der SED-Diktatur einen anderen Blickwinkel hast, sei dir unbenommen. Mit einer (angeblich) inkonsequenten Aufarbeitung die heutigen rechtsextremen Umtriebe im Osten zu erklären, dem kann ich allerdings nicht folgen.
RE: Erinnerungskultur und Dauerkult
in Alles rd. um Familie, Jugend, Kriminalität, Gesetze, Sozialstaat uvm 26.03.2018 23:06von moorhuhn • | 1.486 Beiträge
[quote="Till"|p13223 Aber dass Kinderbücher frei von rassistischen Redewendungen sind, finde ich besonders wichtig.
Die Frage ist dabei nur, wem es zusteht, einem renommierten Autor in die Parade zu fahren. Und ich finde es auch unerheblich, ob das deutsche oder schwedische Schriftsteller sind, es ist und bleibt Zensur, die ja eigentlich in einem Rechtsstaat "nicht stattfindet", gell
Die Verbrechen Hitlers mit der Dummheit einiger aktueller Politiker gleichzusetzen - ich hoffe, ich habe dich dabei irgendwie missverstanden.
Zugegeben, hier kommt mein Zynismus etwas zum Vorschein. Dies provozierst du aber auch, indem du mal wieder meine Gedanken aus dem Zusammenhang reißt!
Ich versetze mich gerne in noch unerfahrene, unbedarfte Gehirne (Berufskrankheit), diese verstehen "dumme" Politik gleichberechtigt, egal ob heute oder vor 80 Jahren.
Dass du auf die Aufarbeitung der Verbrechen der SED-Diktatur einen anderen Blickwinkel hast, sei dir unbenommen. Mit einer (angeblich) inkonsequenten Aufarbeitung die heutigen rechtsextremen Umtriebe im Osten zu erklären, dem kann ich allerdings nicht folgen.[/quote]
Dem kann auch keiner folgen, der die Umstände nicht erlebt hat, geschweige denn junge Leute. Vielleicht eine kleine Demonstration in Bezug auf die NS- Zeit, es sei denn, du bist fast 100 Jahre alt.
Und auch die vielgepriesene "konsequente" NS- Vergangenheitsaufarbeitung überzeugt mich nicht wirklich- allein die Besetzung von höchsten Staatsämtern und Gerichten mit ehemaligen NS- Funktionären bis in die 70iger Jahre spricht eine andere Sprache.
Aber auch das ist lange Vergangenheit und bedarf nicht der ständigen Erinnerung, ganz so, wie das auch gewollt ist.
RE: Erinnerungskultur und Dauerkult
in Alles rd. um Familie, Jugend, Kriminalität, Gesetze, Sozialstaat uvm 27.03.2018 19:15von woipe (gelöscht)
Zitat von moorhuhn im Beitrag #19Zitat von Till im Beitrag #18
Aber dass Kinderbücher frei von rassistischen Redewendungen sind, finde ich besonders wichtig.
Die Frage ist dabei nur, wem es zusteht, einem renommierten Autor in die Parade zu fahren. Und ich finde es auch unerheblich, ob das deutsche oder schwedische Schriftsteller sind, es ist und bleibt Zensur, die ja eigentlich in einem Rechtsstaat "nicht stattfindet", gell
da kann ich unserem moorhuhn nur zustimmen.
viele märchen wurden über die zeiten hinweg auch schon "modernisiert", weil sie als zu brutal empfunden wurden.
da hat till durchaus recht, wenn er behauptet, dass diese umschreiberei ohnehin schon immer und immer wieder stattgefunden hat.
auch das war/ist meines erachtens nichts desto weniger trotz nicht legitim.
viel mehr kann man diese ursprünglichen formulierungen gerade zu bildungszwecken nutzen. zum einen kann man den historischen kontext betrachten, in dem die formulierungen gewählt wurden. eine klassische quellenkritik ist auch eine möglichkeit. man kann auch anhand von texten gut herausarbeiten, was sich über die zeiten hinweg geändert hat. eine kreative herangehensweise wäre auch, wenn man die heranwachsenden die geschichte selbst modern neu erzählen ließe.
letztlich kommt es auf den pädagogen an, was er daraus macht.
möglicher weise sind zu viele mit einer derartigen herangehensweise überfordert, aber unmöglich ist es nicht.
"nichts habe ich mir fester zum grundsatz gemacht, als meine lebensführung nicht nach euren vorurteilen zu gestalten." seneca
RE: Erinnerungskultur und Dauerkult
in Alles rd. um Familie, Jugend, Kriminalität, Gesetze, Sozialstaat uvm 27.03.2018 20:18von moorhuhn • | 1.486 Beiträge
viel mehr kann man diese ursprünglichen formulierungen gerade zu bildungszwecken nutzen. zum einen kann man den historischen kontext betrachten, in dem die formulierungen gewählt wurden. eine klassische quellenkritik ist auch eine möglichkeit. man kann auch anhand von texten gut herausarbeiten, was sich über die zeiten hinweg geändert hat. eine kreative herangehensweise wäre auch, wenn man die heranwachsenden die geschichte selbst modern neu erzählen ließe.
[/quote]
Die Ironie ist dabei, wenn Heranwachsende alte Stoffe modernisieren, kommen weitaus krassere Formulierungen zum Einsatz. Ich mache sowas immer wieder gerne, weil damit sehr gut die thematische Zeitlosigkeit von klassischen Texten erkannt wird.
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