#1

Die Flüchtlingskrise und die Medien

in Medien 21.07.2017 17:48
von Till (gelöscht)
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Überregionale wie auch regionale Zeitungen haben einer Studie der Hamburg Media School und der Universität Leipzig zufolge während der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 zu unkritisch berichtet. Der Studienleiter Michael Haller und seine Mitarbeiter hatten rund 35 000 Texte erfasst. Im Zentrum standen Printleitmedien wie "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Süddeutsche Zeitung", "Welt" und "Bild", über 80 verschiedene Lokal- und Regionalzeitungen sowie focus.de, tagesschau.de und Spiegel Online. Auftraggeber der Studie war die Otto-Brenner-Stiftung. [...]

In rund der Hälfte der Berichterstattungen sei "der journalistische Qualitätsgrundsatz, aus neutraler Sicht sachlich zu berichten", jedenfalls "nicht durchgehalten" worden. Oft schrieben die Korrespondenten "in einer Diktion, die persönliche Nähe, auch Vertrautheit zur politischen Elite suggeriert. Diese Attitüde kann beim Leser den Eindruck erzeugen, die berichtenden Journalisten seien weniger am Thema selbst als an den über das Thema transportierten Querelen interessiert."

Haller beklagt: "Bis zum Spätherbst 2015 greift kaum ein Kommentar die Sorgen, Ängste und auch Widerstände eines wachsenden Teils der Bevölkerung auf. Wenn doch, dann in belehrendem oder (gegenüber ostdeutschen Regionen) auch verächtlichem Ton."Kaum ein Kommentar während der sogenannten Hochphase (August und September) habe versucht, eine Differenzierung zwischen Rechtsradikalen, politisch Verunsicherten und besorgten, sich ausgegrenzt fühlenden Bürgern zu erreichen. Vielmehr sei der Begriff Willkommenskultur "zu einer Art Zauberwort verklärt" worden, "mit dem freiwillig von den Bürgern zu erbringende Samariterdienste moralisch eingefordert werden konnten. Wer Skepsis anmeldete, rückte in den Verdacht der Fremdenfeindlichkeit."

Erst nach der Kölner Silvesternacht 2015/16 habe "ein differenzierterer Umgang mit dem Megathema Flüchtlinge in Deutschland" eingesetzt. Der Ton der Berichte sei skeptischer geworden. Im Januar 2016 hätten sich sogar viele Zeitungsberichte gefunden, "die, entgegen journalistischen Sorgfaltspflichten, in ihren Berichten über Normverstöße junge Migranten und Asylsuchende unter Täterverdacht stellen. Es entsteht der Eindruck, als wollten viele Journalisten jetzt überfleißig nachholen, was sie zuvor versäumt hatten."

– Quelle: http://www.ksta.de/28006678 ©2017

Nach meiner Erinnerung gab es die gemäßigt skeptischen Stimmen in den Medien bereits 2015. In der Studie heißt es dazu auch, dass Gastbeiträge von Autoren, die die Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel problematisch fanden, nicht berücksichtigt wurden, da Gastbeiträge vom Leser nicht der Redaktion zugerechnet würden. Allerdings hatten es diese Stimmen schwer, sich gegenüber den Tagesereignissen zwischen Flüchtlingsschicksalen einerseits und Pegida-Aktivisten und anderen Rechtsauslegern in Dunkeldeutschland andererseits Gehör zu verschaffen. Mittlerweile hat sich mMn jedenfalls das Pendel völlig in die andere Richtung bewegt, wie nicht zuletzt der Fall Schorndorf zeigte.



zuletzt bearbeitet 21.07.2017 18:01 | nach oben springen

#2

RE: Die Flüchtlingskrise und die Medien

in Medien 21.07.2017 18:07
von Luftdrache (gelöscht)
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Nur vom überfliegen: Alles ist natürlich deutlich komplexer, als es er Kölner Stadtanzeiger darstellt. Ehrenamtliche Helfer und Flüchtlinge selber haben z.B. kaum eine eigene Stimme in der Presse bekommen - also die Betroffenen und die Träger der Willkommenskultur. Das fällt z.B. unter das "nicht durchhalten des journalistischen Qualitätsgrundsatzes".
Im Zwischenfazit: Kein Grund für die AfD, sich zu beschweren!

Das Themenheft ist auf der Seite der Otto - Brenner - Stiftung einzusehen. Eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Themenheft bedeutet allerdings, 184 Seiten zu lesen. Vom Überfliegen maße ich mir da noch keine Bewertung an.


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#3

RE: Die Flüchtlingskrise und die Medien

in Medien 21.07.2017 18:14
von Anthea | 12.406 Beiträge

Zitat von Till im Beitrag #1
Überregionale wie auch regionale Zeitungen haben einer Studie der Hamburg Media School und der Universität Leipzig zufolge während der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 zu unkritisch berichtet. Der Studienleiter Michael Haller und seine Mitarbeiter hatten rund 35 000 Texte erfasst. Im Zentrum standen Printleitmedien wie "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Süddeutsche Zeitung", "Welt" und "Bild", über 80 verschiedene Lokal- und Regionalzeitungen sowie focus.de, tagesschau.de und Spiegel Online. Auftraggeber der Studie war die Otto-Brenner-Stiftung. [...]

In rund der Hälfte der Berichterstattungen sei "der journalistische Qualitätsgrundsatz, aus neutraler Sicht sachlich zu berichten", jedenfalls "nicht durchgehalten" worden. Oft schrieben die Korrespondenten "in einer Diktion, die persönliche Nähe, auch Vertrautheit zur politischen Elite suggeriert. Diese Attitüde kann beim Leser den Eindruck erzeugen, die berichtenden Journalisten seien weniger am Thema selbst als an den über das Thema transportierten Querelen interessiert."

Haller beklagt: "Bis zum Spätherbst 2015 greift kaum ein Kommentar die Sorgen, Ängste und auch Widerstände eines wachsenden Teils der Bevölkerung auf. Wenn doch, dann in belehrendem oder (gegenüber ostdeutschen Regionen) auch verächtlichem Ton."Kaum ein Kommentar während der sogenannten Hochphase (August und September) habe versucht, eine Differenzierung zwischen Rechtsradikalen, politisch Verunsicherten und besorgten, sich ausgegrenzt fühlenden Bürgern zu erreichen. Vielmehr sei der Begriff Willkommenskultur "zu einer Art Zauberwort verklärt" worden, "mit dem freiwillig von den Bürgern zu erbringende Samariterdienste moralisch eingefordert werden konnten. Wer Skepsis anmeldete, rückte in den Verdacht der Fremdenfeindlichkeit."

Erst nach der Kölner Silvesternacht 2015/16 habe "ein differenzierterer Umgang mit dem Megathema Flüchtlinge in Deutschland" eingesetzt. Der Ton der Berichte sei skeptischer geworden. Im Januar 2016 hätten sich sogar viele Zeitungsberichte gefunden, "die, entgegen journalistischen Sorgfaltspflichten, in ihren Berichten über Normverstöße junge Migranten und Asylsuchende unter Täterverdacht stellen. Es entsteht der Eindruck, als wollten viele Journalisten jetzt überfleißig nachholen, was sie zuvor versäumt hatten."

– Quelle: http://www.ksta.de/28006678 ©2017

Nach meiner Erinnerung gab es die gemäßigt skeptischen Stimmen in den Medien bereits 2015. In der Studie heißt es dazu auch, dass Gastbeiträge von Autoren, die die Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel problematisch fanden, nicht berücksichtigt wurden, da Gastbeiträge vom Leser nicht der Redaktion zugerechnet würden. Allerdings hatten es diese Stimmen schwer, sich gegenüber den Tagesereignissen zwischen Flüchtlingsschicksalen einerseits und Pegida-Aktivisten und anderen Rechtsauslegern in Dunkeldeutschland andererseits Gehör zu verschaffen. Mittlerweile hat sich mMn jedenfalls das Pendel völlig in die andere Richtung bewegt, wie nicht zuletzt der Fall Schorndorf zeigte.



Ich denke mal, wenn die Gegenbewegungen wie Pegida u.ä. moderat gewesen und verlaufen wären, wenn dort wirklich "besorgte Bürger" mit seriösen Rednern differenzierend aufgetreten wären, dann wäre eine Berichterstattung insgesamt auch anders verlaufen.

So jedoch war es irgendwie auch unerlässlich, dass ganz gezielt die Redakteure die Position der Menschen einnahmen, die voll Hoffnung und guten Willens - und nicht von vornherein das Schlechte(ste) in Menschen sahen (was ja so auch geundsätzlich korrekt ist und war) als diejenige der No Goes, die mit Galgen und Hetzparolen und Plakaten meinten, sie seien DAS Volk. "Volk" waren sie, aber im abwertenden Sinne gebraucht.

Nun hat die Zeit natürlich gezeigt, dass nicht alles Gute aus dem Flüchtlingszustrom uns erwachsen ist. Auch hier wäre unbedingt eine gezielte Differenzierung vonnöten. Jedoch, wie du "Schondorf" anführtest, kommen manche von einem Extrem ins andere. Und sind schon wieder ungenau, unseriös und erwecken den Anschein von "Ghostwritern" nach Vorgabe.

Ein Problem ist auch, dass dpa Pressemeldungen herausgibt, die oftmals als "Eigenartikel" ein wenig verändert werden. Wobei die dann entstandenen Wortlaute im Zusammenhang betrachtet ein etwas anderes Bild ergeben. Durch Hinzufügen als "dichterische Freiheit" oder Hinweglassen als mögliche "Stimmungmache".


Träume, als lebtest du ewig - lebe, als stürbest du heute. James Dean
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#4

RE: Die Flüchtlingskrise und die Medien

in Medien 22.07.2017 13:33
von Minou | 149 Beiträge

Eine sachliche Berichterstattung hab ich seinerzeit selten gefunden. Es war schon nicht leicht, sich über die Anzahl der bei uns Ankommenden zu informieren.

In Regionalzeitungen waren öfters kritische Bemerkungen von Mitarbeitern der damals völlig überlasteten Aufnahmestellen zu lesen, die in überregionalen Zeitungen und im Fernsehen keine Erwähnung fanden, nicht nur, weil es sich dabei um Einzelfälle gehandelt haben wird, sondern weil ein positives Bild verbreitet werden sollte.

Vernünftigen Politikern und Bürgern, die sich besorgt äußerten, wurde seinerzeit doch automatisch Fremdenfeindlichkeit unterstellt.

Eine wirkliche "Flüchtlingspolitik" hat es nicht gegeben. Als Frau Merkel aus humanitären Gründen wegen der unhaltbaren Zustände "die Grenzen öffnete" hat bestimmt niemand mit einem nicht enden wollenden Ansturm gerechnet, der immer mehr Wirtschaftsflüchtlinge und Schlepperbanden anzog.

Der Eindruck, "als wollten viele Journalisten jetzt überfleißig nachholen, was sie zuvor versäumt hatten." ist nicht falsch, Sensationsmeldungen mit negativen Schlagzeilen verkaufen sich halt besser als positive Meldungen, und es interessiert dann auch, ob es sich um hiesige oder zugewanderte Übeltäter handelt


Beginne den Tag mit einem Lächeln, denn jeder Tag ist ein Geschenk.
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#5

RE: Die Flüchtlingskrise und die Medien

in Medien 22.07.2017 16:05
von denker_1 | 1.598 Beiträge

Zitat von Anthea

... Durch Hinzufügen als "dichterische Freiheit" oder Hinweglassen als mögliche "Stimmungmache".



Ich unterstelle den Medien bewusste Stimmungmache!


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#6

RE: Die Flüchtlingskrise und die Medien

in Medien 22.07.2017 17:27
von Till (gelöscht)
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Zitat von Minou im Beitrag #4
Eine sachliche Berichterstattung hab ich seinerzeit selten gefunden. Es war schon nicht leicht, sich über die Anzahl der bei uns Ankommenden zu informieren.
Ich fürchte, diesen Überblick hatten deutsche Behörden selbst nicht. Allerdings wird jährlich ein Migrationsbericht veröffentlicht, in dem sehr detaillierte Zahlen über Zu- und Abwanderung veröffentlicht werden.

Zitat
In Regionalzeitungen waren öfters kritische Bemerkungen von Mitarbeitern der damals völlig überlasteten Aufnahmestellen zu lesen, die in überregionalen Zeitungen und im Fernsehen keine Erwähnung fanden, nicht nur, weil es sich dabei um Einzelfälle gehandelt haben wird, sondern weil ein positives Bild verbreitet werden sollte.

Diese Berichte gab es auch im Fernsehen. Vielleicht nicht unbedingt in der Tagesschau.

Zitat
Vernünftigen Politikern und Bürgern, die sich besorgt äußerten, wurde seinerzeit doch automatisch Fremdenfeindlichkeit unterstellt.

Einen "Automatismus" habe ich nicht beobachtet. AfD-Politiker haben sich allerdings selbst in die rechte Ecke gestellt. Aber auch "vernünftige Politiker und Bürger" müssen damit leben, dass manche Leute anderer Meinung sind.

Zitat
Eine wirkliche "Flüchtlingspolitik" hat es nicht gegeben. Als Frau Merkel aus humanitären Gründen wegen der unhaltbaren Zustände "die Grenzen öffnete" hat bestimmt niemand mit einem nicht enden wollenden Ansturm gerechnet, der immer mehr Wirtschaftsflüchtlinge und Schlepperbanden anzog.

Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass "gut gemeint" das Gegenteil von "gut" ist. Ich war uneingeschränkt dafür, Flüchtlingen zu helfen, auch wenn sich einige Glücksritter unter ihnen befanden. Ich war allerdings bestürzt, wie wenig professionell das ganze Projekt angegangen wurde. Es ist offenbar so, dass man in Deutschland kein Großprojekt mehr stemmen kann, egal auf welchem Gebiet.



zuletzt bearbeitet 22.07.2017 17:27 | nach oben springen

#7

RE: Die Flüchtlingskrise und die Medien

in Medien 22.07.2017 17:31
von Till (gelöscht)
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Zitat von Anthea im Beitrag #3
Ein Problem ist auch, dass dpa Pressemeldungen herausgibt, die oftmals als "Eigenartikel" ein wenig verändert werden. Wobei die dann entstandenen Wortlaute im Zusammenhang betrachtet ein etwas anderes Bild ergeben. Durch Hinzufügen als "dichterische Freiheit" oder Hinweglassen als mögliche "Stimmungmache".
Das Problem ist eher, dass aus Einsparungsgründen Meldungen von Presseagenturen 1:1 übernommen und veröffentlicht werden und kaum noch eigene Recherche stattfindet. Dadurch entsteht der Eindruck einer gleichgeschalteten Presse.


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