#46

RE: Architektur

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 12.05.2018 12:50
von Anthea | 12.404 Beiträge

Wenn man sieht, wie alte Städtchen oder solche mit zumindest erhaltenem alten Stadtkern einen regen Touristenzulauf haben dann versteht man "Nostalgie". Die Sehnsucht nach "Altem" im Sinne von "Schönem".Von Atmosphäre und Wohlgefühl.

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Um das Herz und den Verstand eines anderen Menschen zu verstehen, schaue nicht darauf, was er erreicht hat, sondern wonach er sich sehnt. (Khalil Gibran)
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#47

RE: Architektur

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 12.05.2018 13:08
von Jackdaw | 454 Beiträge

Zitat von Till im Beitrag #45
Die

Zitat
Betonung des seriellen
- ich sag's ja […]

Als entsprächen serielle Bauformen nicht der Erfahrungswelt des Menschen - er zählt, populäre Lieder gliedern sich in Strophen, Zeitabschnitte gliedern seinen Tages-, Wochen-, Jahres-, Lebensrhythmus, die Wiederkehr gleichartiger oder zumindest ausgeprägt ähnlicher Gestaltung findet sich in der Kleidung ebenso wie im Gartenbeet, beim Mobiliar, in der Positionierung von Türen entlang längerer Flure - weswegen sollte jenes Regelmaß in der Gestaltung von Hausfassaden, die einen längeren Straßenabschnitt flankieren, als es die Giebelseite einzeln errichteter, kleinerer Gebäude tun, nachteilig sein?

Erst in der Postmoderne wird jenes Regelmaß (in oftmals übertriebener Weise) "aufgelockert", und das ist dann weniger ein Blickfang, als eher eine unruhige Dysharmonik… zumal sie keiner funktionalen Absicht folgt, sondern lediglich "als Abwechslung" und rein willkürlich die Fassadenstruktur eben nicht gliedert, sondern stört. Monumentale Fassaden hat es lange, bevor die ersten Parkhäuser nötig wurden, gegeben. Stadtpalais, Gerichtsgebäude, Amtsgebäude, Großpostämter, Kasernen… auch die im 19. Jahrhundert das städtische Erscheinungsbild prägenden Museen sind zumeist ja recht voluminöse und repräsentative Bauten gewesen, schließlich waren sie ein Aushängeschild bürgerlichen Stolzes auf die Leistungsfähigkeit der heimischen Wirtschaft und die Kunstfertigkeit heimischer Kunsthandwerker… 

Zitat von Till im Beitrag #45
[…] Dass man diesen Traum nicht vollständig verwirklichen konnte, hat viele Ursachen; es ändert nichts daran, dass es ein Frevel war und unsere Großstädte architektonisch jeden Charme verloren haben.[…]
Die Umgestaltung von Städten, die Anlegung der breiten Boulevards etwa durch George-Eugène Haussmann erfolgte auch schon lange, bevor das erste Automobil durch städtische Straßen gefahren ist… die Enge städtischer Bebauung (des Mittelalters) musste schon aus Gründen des Brandschutzes irgendwann überwunden werden - und die Großzügigkeit urbaner Selbstdarstellung (in Paris wollte man so Revolten vorbeugen, den Barrikadenbau erschweren und das Nachrücken der Ordnungshüter beschleunigen) , in Karlsruhe hingegen vor allem Sichtachsen schaffen, um den Blick von quasi jedem Punkt der Stadt aus auf das Schloss und damit die weltliche Herrschaft richten) hat immer schon einfach dem Erdboden gleichgemacht, was an älterem Baubestand im Weg gestanden hätte.

Das heute so gern zitierte Schlagwort der autogerechten Stadt (sein Urheber war Hans Bernhard Reichow, der 1959, als die Neugestaltung der zerbombten Städte längst fortgeschritten war, eine Schrift mit diesem Titel vorlegte. Sein Angedenken verdiente es, besser gewürdigt zu werden) wird ja meist in ablehnender Intention bemüht - fragen wir uns doch mal, wie's in den Städten aussähe, gäbe es das Automobil nicht.

In welchem Maße fallen innerstädtische Transport- und Verkehrsbedürfnisse an? Und in welcher Zahl, in welchen Zeitintervallen, bewegt sich die Stadtbevölkerung zwischen Wohnung, Arbeitsplatz, zum Einkauf, freizeitbedingt, erholungssuchend? Welche Menschenmengen wollen denn schnellstmöglich bestimmte Distanzen überwinden?


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#48

RE: Die Stadt als "Selfie"-Hintergrundbild

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 12.05.2018 13:21
von Jackdaw | 454 Beiträge

Zitat von Anthea im Beitrag #46
[…] Die Sehnsucht nach "Altem" im Sinne von "Schönem".Von Atmosphäre und Wohlgefühl.
Ja, die Stadt als Fotomotiv - zwischen Einkaufsbummel und Eisdielenbesuch. Was jedoch in rein touristischen Orten wie Rothenburg ob der Tauber oder Miltenberg am Rhein funktioniert, würde etwa größeren Städten eher ihre Lebensgrundlage (= die Wirtschaft) rauben… 
Schauen wir uns etwa Venedig an - wäre nicht vor Jahrhunderten der Gewürzhandel zusammengebrochen, und Venedig weiterhin Umschlagplatz gewesen, hätte sich das Stadtbild sicher nicht erhalten… der Massentourismus erlaubt es der Lagunenstadt, mit der einstigen Pracht ausreichende Einnahmen zu erzielen, um die Sehenswürdigkeiten im historischen Glanz zu präsentieren, obwohl die Besucherstörme mittlerweile ja ebenfalls als der Konservierung kontraproduktiv erkannt werden… 

Wie leben eigentlich die Venezier damit, dass ihre Stadt dauernd mit lärmenden, fotografierenden und die Lebenshaltungskosten hochtreibenden Touristen überlaufen ist?


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#49

RE: Architektur

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 12.05.2018 19:40
von woipe (gelöscht)
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Zitat von Till im Beitrag #45
Die

Zitat
Betonung des seriellen
- ich sag's ja ...

Zitat
sind die Städte denn "autogerecht" geworden? Unfallzahlen und Stauzeiten sprechen da eine ganz andere Sprache.

Das ist ein Traum von Stadtplanern nach dem Krieg gewesen, dem mehr alte Bausubstanz zum Opfer gefallen ist als im Krieg. Dass man diesen Traum nicht vollständig verwirklichen konnte, hat viele Ursachen; es ändert nichts daran, dass es ein Frevel war und unsere Großstädte architektonisch jeden Charme verloren haben. Sie funktionieren nur noch weitestgehend. Immerhin.




nicht nur den stadtplanern nach dem krieg, oder den kriegszerstörungen sind diese bausünden zu verdanken. ich denke da auch an die planungen mit denen die nsdap die städte umgestalten wollte und dies auch schon begonnen hatte. beispiele dafür sind der flughafen tempelhof in berlin oder auch das haus der deutschen kunst in münchen, die beide heute noch stehen.
http://www.fvss.de/assets/media/jahresar...architektur.pdf
http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/974079#M.C3.BCnchen
http://www.muenchenwiki.de/wiki/NSDAP-Ge..._und_ihre_Reste
https://www.welt.de/kultur/gallery220270...er-Hitlers.html

bitte fragt mich nicht, wo ich das gesehen hatte, aber mir lag ein mal ein plan vor, wie münchen den nazi-architkten zufolge hätte aussehen sollen. allein der neue bahnhof wäre gigantisch geworden... ob das ein plan von albert speer war? keinen schimmer. wie gesagt - ich kann es gerade im moment nicht zuordnen, habe aber das bild dieses bahnhofs im kopf...


"nichts habe ich mir fester zum grundsatz gemacht, als meine lebensführung nicht nach euren vorurteilen zu gestalten." seneca
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#50

RE: Die Stadt als "Selfie"-Hintergrundbild

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 12.05.2018 20:37
von Till (gelöscht)
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Die meisten monumentalen Gebäude, die heute unter Denkmalschutz stehen oder gar als UNESCO-Welterbe eingetragen sind, inklusive der von vielen geliebten Schlösser, entstanden in undemokratischen Zeiten, waren Vorzeigeprojekte absoluter Herrscher. Die Nazis folgten da nur einer historischen Logik.
"Einschüchterungsarchitektur" hat mal jemand die Nazi-Bauten genannt. Der Ausdruck passt m.E. besser auf den Brutalismus.


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#51

RE: Architektur

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 12.05.2018 22:47
von Jackdaw | 454 Beiträge

Zitat von woipe im Beitrag #49
[…] bitte fragt mich nicht, wo ich das gesehen hatte, aber mir lag ein mal ein plan vor, wie münchen den nazi-architkten zufolge hätte aussehen sollen […]
Weswegen sollte ich fragen? Wo doch exklusiv der Merkur über die Pläne im Münchner Stadtarchiv berichtet hat… 
Verantwortlich war wohl Hermann Giesler, damals Generalbaurat und wegen seiner Planspiele für die Nachwelt längst biographiert. .
Und dass für die NS-Ideologie "Größe" stets das wichtigste Merkmal gewesen ist, hatte ja auch Charlie Chaplin im Film wunderbar karikiert.


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#52

RE: Architektur

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 12.05.2018 22:53
von woipe (gelöscht)
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danke dir.
jetzt kann ichs wenigstens nachschlagen.

aber das hatte ich bereits in den 90ern an der uni (geschichte? wirtschaftsgeschichte? kunstgeschichte?) gehabt, also vor dem artikel im merkur...


"nichts habe ich mir fester zum grundsatz gemacht, als meine lebensführung nicht nach euren vorurteilen zu gestalten." seneca
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#53

RE: Architektur

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 16.05.2018 00:39
von Jackdaw | 454 Beiträge

Die von User "wolpe" anfänglich in den Raum gestellte Frage lautete:

Zitat von woipe im Beitrag #1
[…] welche bauwerke ihr architektionisch besonders reizvoll findet und warum. […]
Die zu erwartende Reaktion auf derartige Fragen besteht darin, dass die Befragten meist die ohnehin berühmtesten Gebäude der Welt aufzählen - insbesondere, wenn sie auf Urlaubsreisen vor dem einen oder anderen davon haben ablichten lassen… 
Es ging ja aber nicht darum, welches Gebäude als besonders beeindruckend empfunden wurde, sondern darum welches reizvoll erschien… 

Kleinstädte etwa mögen reizvoll erscheinen, wenn sie "stilrein" erbaut wurden und in dieser Weise erhalten bleiben durften - Residenzstädte gewinnen durch großzügige Parkanlagen und nicht so sehr son sonstiger Bebauung bedrängten Monumenten.
Einzelne Bauten jedoch erfordern geschmackswahrende Proportionen - und unter den vielen Gebäuden, die ich auf Reisen anzuschauen oder gar zu besichtigen Gelegenheit hatte, sind mir viel zu viele erinnerlich, als dass ich sie alle hier präsentieren könnte.

Eine Ausnahmestellung nähme u.a. das Musßee des Beaux-Arts im südbelgischen Tournai ein, das liegt keine 20 km etwa nördlich von der französischen Universitätsstadt Lille. Das Gebäude liegt ein wenig versteckt hinter der Rückseite der straßenzugewandten Wohnbebauung und fällt glücklicherweise schon wegen seines annähernd ovalen Grundrisses auf dem touristischen Stadtplan/Handzettel der örtlichen Sehenswürdigkeiten auf - erbaut wurde es in der Ära des Jugendstil, aus der auch ein Teil der darin ausgestellten Kunstwerke stammen.

Eher mehr mittig in Belgien, wenige km östlich des Butte de Lion, einem künstlich angelegten Berg, von dessen Gipfel man die Aussicht genießen darf, wenn man keinen Anstoß daran nimmt, dass jener Berg aus den Knochen der Gefallenen der Schlacht bei Waterloo errichtet wurde, befindet sich das Haus, in dem Napoleon Bonaparte vor der Schlacht übernachtet hat - an dem Häuschen ist ansonsten nichts besonderes, auch wenn jetzt ein kleine Museum daran erinnert, dass "die Weltgeschichte" nicht achtlos daran vorbeigegangen ist.


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#54

RE: Architektur

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 16.05.2018 07:46
von Jackdaw | 454 Beiträge

Sicher wäre an dieser Stelle auch das Atomium in Brüssel, das anlässlich einer Weltausstellung (1958) errichtet wurde, und in idealer Weise dem damaligen Zeitgeist eine Entsprechung bildet, war die damalige Zeit doch ganz vom aktuellen Fortschrittsgedanken gewidmet, die Begeisterung für Wissenschaft und Technik zeigt sich ebenso darin, wie in det Zurschaustellung des zuvor im Hausbau ungebräuchlichen Baumaterials.
Die einzelnen Kugeln dienen als Ausstellungsräume, als Aussichtsplattform und als Restaurant, die Röhren zwischen ihnen umkleiden Fahrstuhlschächte und Rolltreppen, um von einem Gebäudeteil zum anderen zu gelangen.

Bedenkt man, dass das Gebäude eine Kristallstruktur nachempfindet - in Art eines Kalottenmodells in Milliardenfacher Vergrößerung, darf man sich architekturhistorisch an die visionären und praktisch nie verwirklichten Entwürfe der Architekten der Gläsernen Kette erinnert fühlen - also an Bruno Taut, Wenzel Hablik und andere.


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#55

RE: Architektur

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 16.05.2018 23:35
von woipe (gelöscht)
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Zitat von Jackdaw im Beitrag #53
Die von User "wolpe" anfänglich in den Raum gestellte Frage lautete:
Zitat von woipe im Beitrag #1
[…] welche bauwerke ihr architektionisch besonders reizvoll findet und warum. […]
Die zu erwartende Reaktion auf derartige Fragen besteht darin, dass die Befragten meist die ohnehin berühmtesten Gebäude der Welt aufzählen - insbesondere, wenn sie auf Urlaubsreisen vor dem einen oder anderen davon haben ablichten lassen… 
Es ging ja aber nicht darum, welches Gebäude als besonders beeindruckend empfunden wurde, sondern darum welches reizvoll erschien… 
...


genau - und das warum interessiert mich auch.
es ist eigentlich sogar mehr das warum.

die klassischen urlaubsfotos vor dem schiefen turm von pisa, dem eifelturm,... das ist alles schön und nett, in der regel aber dann doch eher ein dokument für: ich war da. wo ihr alle schon mal wart, das ist jetzt aber nicht die frage, die ich für mich beantwortet haben will. ich muss nicht überall gewesen sein... meine zeit ist für mich etwas, was ich mit sinn füllen will. also warum gucke ich mir ein haus an, von dem küchenplaner das kalte grausen bekommen, wenn ein bewohner dieses hauses eine neue küche kaufen will? sprich, wenn alle "ecken" rund sind, der boden uneben, die wände schief,... so unsymetrisch, dass eine klassische auf fabrikation ausgelegte gesellschaft schier am verzweifeln ist... warum reizt mich das und nicht ein nackig-gerades bauhaus-gebäude...??? weil die etwas dynamisches, etwas individuelles ist - hier geht es ausdruck, gefühl und nicht vorrangig um produktion.

warum gehe ich lieber auf einen friedhof, der alt und gewachsen ist? ein friedhof, auf dem die unterschiedlichsten marterl aus den verschiedensten epochen stehen, die über die menschen mehr erzählen, als schlichte monotone kreuzreihen eines soldatenfriedhofs, in dem das individuum komplett verschwindet.

mich reizt die menschliche seite, die empathie.

so geschehen zum beispiel auch bei meinen besichtigungstouren an der loire. chenenceau war beeindruckend. der bau über den cher ist mehr als nur faszinierend. aber mehr noch hat mich das kleinere unbedeutende cheverny greizt. dort wurde in teilen sogar noch im schloss gelebt. es sind schon zwei unterschiedliche paar schuhe, wenn etwas zu einem nüchternen ausstellungsstück wird oder noch wirklich in gebrauch ist...


"nichts habe ich mir fester zum grundsatz gemacht, als meine lebensführung nicht nach euren vorurteilen zu gestalten." seneca
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#56

RE: Architektur

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 17.05.2018 11:36
von Jackdaw | 454 Beiträge

Zitat von woipe im Beitrag #55
[[…] warum gucke ich mir ein haus an, von dem küchenplaner das kalte grausen bekommen, wenn ein bewohner dieses hauses eine neue küche kaufen will? sprich, wenn alle "ecken" rund sind, der boden uneben, die wände schief,... so unsymetrisch, dass eine klassische auf fabrikation ausgelegte gesellschaft schier am verzweifeln ist... warum reizt mich das und nicht ein nackig-gerades bauhaus-gebäude...??? weil die etwas dynamisches, etwas individuelles ist - hier geht es ausdruck, gefühl und nicht vorrangig um produktion. […]
Weswegen Dir - ganz offensichtlich - die Bauten nach "Plänen" Friedensreich Hundertwassers interessanter erscheinen, als solche des Bauhaus-Stils, kann ich nicht beurteilen.
Hundertwasser scheint ja mit seinem Ausleben seiner Kreativität gewissermaßen die Ideale heutiger Vorschulpädagogik vorgelebt zu haben… nun mag in seiner Generation die Ablehnung jeglichen Regelmaßes auch als politisches Statement (gegen Traditionen, als Ausdruck einer pazifistischen und antihierarchischen Gesellschaftsutopie) verstanden worden sein.

In diesem Zusammenhang wär's sicher interessant, sich bewusst zu machen, dass diese Form der "Individualität" bloß wirkt, wenn so ein Gebäude als Solitär im Stadtbild einen "Farbtupfer" darstellt; wär' jedes Gebäude in jener Weise individuell gestaltet, würde selbst ein einzelner Straßenzug zum Albtraum werden… 


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#57

RE: Architektur

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 17.05.2018 11:55
von woipe (gelöscht)
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@ jackdaw


kunst im weiteren sinne lebt von den kontrasten. seien es farbkontraste, kontraste der formengebung, kontraste bei einer kombination von alt und neu...
in zeiten, in denen alles nur auf zweckmäßigkeit hinsichtlich produktion und reproduktionsfähigkeit hin getrimmt ist, sind abweichungen von dieser regel, die empathische auflockerung, die ich als wohltuend empfinde.
bitte versteht mich nicht so, dass ich das eine weniger und das andere mehr schätze. kunst und kreativität an sich sind schon positiv. ästhetik und gefühle unterscheiden sich aber von individuum zu individuum. das zu erfahren ist meine intension.


"nichts habe ich mir fester zum grundsatz gemacht, als meine lebensführung nicht nach euren vorurteilen zu gestalten." seneca


zuletzt bearbeitet 17.05.2018 11:56 | nach oben springen

#58

RE: Architektur

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 17.05.2018 13:14
von Jackdaw | 454 Beiträge

Zitat von woipe im Beitrag #57
[…] in zeiten, in denen alles nur auf zweckmäßigkeit hinsichtlich produktion und reproduktionsfähigkeit hin getrimmt ist, sind abweichungen von dieser regel, die empathische auflockerung, die ich als wohltuend empfinde. […]
Nun ist Zweckmäßigkeit einerseits nützlich und andererseits in gestalterischer Hinsicht auch ehrlich. Wenn ein Zeitalter sich der Vernunft verschrieben hat, wie es doch die Aufklärung in der Philosophie und die naturwissenschaftlichen und medizinischen Fortschritte im 19. Jahrhundert vorgegeben haben, sowie die Demokratisierung der Gesellschaften und deren parlamentarischen Überbaus (also zunächst einmal die Verfassungen) vorgegeben haben, war ist die Ästhetik des Rationalismus die notwendige Entsprechung - zeitgemäße Bauten finden sich im "Zyklopenstil" der ausklingenden Kaiserzeit ebenso wie in der kantigeren Moderne des Bauhauses und des Werkbundes…
Es war das Gebot der Stunde, Planung und Bau des enormen Bedarfs an Neubauten, zu beschleunigen - und die Baukosten im Rahmen zu halten - weil der Hausbau eben nicht mehr wohlhabenderen Schichten vorbehalten sein sollte und durfte, sondern städtische Wohnungsbaugenossenschaften preisgünstigen Wohnraum in verkehrsgünstiger Lage, der zugleich einen höheren Wohnwert als in vormaligen "Mietskasernen" bieten sollten, gegründet wurden.

Anders als die in den Jahrzehnten zuvor als Wohnstifte entstandenen, mit prachtvollen Straßenfronten sich schmückenden Bauten, die zugleich als Denkmal ihrer Stifter dienten, waren es jetzt die "inneren Werte", auf die es ankam.


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#59

RE: Architektur

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 17.05.2018 13:30
von woipe (gelöscht)
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Zitat von Jackdaw im Beitrag #58
Zitat von woipe im Beitrag #57
[…] in zeiten, in denen alles nur auf zweckmäßigkeit hinsichtlich produktion und reproduktionsfähigkeit hin getrimmt ist, sind abweichungen von dieser regel, die empathische auflockerung, die ich als wohltuend empfinde. […]
Nun ist Zweckmäßigkeit einerseits nützlich und andererseits in gestalterischer Hinsicht auch ehrlich. Wenn ein Zeitalter sich der Vernunft verschrieben hat, wie es doch die Aufklärung in der Philosophie und die naturwissenschaftlichen und medizinischen Fortschritte im 19. Jahrhundert vorgegeben haben, sowie die Demokratisierung der Gesellschaften und deren parlamentarischen Überbaus (also zunächst einmal die Verfassungen) vorgegeben haben, war ist die Ästhetik des Rationalismus die notwendige Entsprechung - zeitgemäße Bauten finden sich im "Zyklopenstil" der ausklingenden Kaiserzeit ebenso wie in der kantigeren Moderne des Bauhauses und des Werkbundes…
Es war das Gebot der Stunde, Planung und Bau des enormen Bedarfs an Neubauten, zu beschleunigen - und die Baukosten im Rahmen zu halten - weil der Hausbau eben nicht mehr wohlhabenderen Schichten vorbehalten sein sollte und durfte, sondern städtische Wohnungsbaugenossenschaften preisgünstigen Wohnraum in verkehrsgünstiger Lage, der zugleich einen höheren Wohnwert als in vormaligen "Mietskasernen" bieten sollten, gegründet wurden.

Anders als die in den Jahrzehnten zuvor als Wohnstifte entstandenen, mit prachtvollen Straßenfronten sich schmückenden Bauten, die zugleich als Denkmal ihrer Stifter dienten, waren es jetzt die "inneren Werte", auf die es ankam.


deine argumente in ehren. sie sind ja schließlich auch nicht falsch.
aber wenn häuser in reih und glied stehen, vermittelt mir das aber auch etwas von menschen, die in reih und glied stehen...
auch das was du über die rationalität und den politischen oberbau schreibst ist nicht falsch.
aber hier muss ich durchaus auch anfügen, dass ein zentralistischer staat das individuelle und damit die kreativität abtötet. es gibt für mich schon gründe, warum aus meiner sicht das prinzip der subsitarität genauso zentral und wichtig ist, wie es eben auch elemente einer direkten demokratie sind. freiheit, und das soll eine demokratische verfassung leisten, bedeutet immer auch eine weitere ausdehnung von kreativität.
ich formuliere das mal eher drastisch. wenn ich und meine kreativität auf eine genormte richtung festgelegt sein müssten, hätte ich keine kreativität und auch keine freiheit. ich wäre tot. dagegen wehre ich mich. dagegen begehre ich auf. wenn die intoleranz so stark ist, das mein aufbegehren nicht tolerierbar sein wird, dann sollte man lieber konsequent von einem totalitären gedankensystem sprechen und den begriff der freiheit nicht mehr in den mund nehmen.
wie du siehst - kunst hat ganz sicher ihre politschen aspekte.
ich sage das mal ganz direkt, wenn kreativität platt gemacht wird, verlieren wir letztlich unsere identität und freiheit.


"nichts habe ich mir fester zum grundsatz gemacht, als meine lebensführung nicht nach euren vorurteilen zu gestalten." seneca


zuletzt bearbeitet 17.05.2018 13:34 | nach oben springen

#60

RE: Architektur

in Malerei, Bildhauerei und Architektur 17.05.2018 17:02
von Till (gelöscht)
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Zitat von Jackdaw im Beitrag #56
In diesem Zusammenhang wär's sicher interessant, sich bewusst zu machen, dass diese Form der "Individualität" bloß wirkt, wenn so ein Gebäude als Solitär im Stadtbild einen "Farbtupfer" darstellt; wär' jedes Gebäude in jener Weise individuell gestaltet, würde selbst ein einzelner Straßenzug zum Albtraum werden… 
Das ist genau das, was ich zeitgenössischen Architekten und Bauherren vorwerfe: Sie verwirklichen ihre Vorstellung von Individualität und kümmern einen feuchten Kehricht darum, wie ihre Werke ins Stadtbild passen.
Für mich gehört zu gelungener Architektur beides, das Gebäude und das Umfeld.


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