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Betrachtung der Erotik

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 05.08.2018 12:01
von Anthea | 12.411 Beiträge

Mir scheint, dass die Erotik bei neuen Philosophen etwas stiefmütterlich behandelt wird.
Vor ca. 10 Jahren zum "Welttag der Philosophie" behandelte die Universität Bamberg auf einem Symposium das Thema „Philosophie des Eros – Eros der Philosophie“ und vermittelte einen Einblick des Eros in der Philosophie. Oder auch einer Symbiose.

Hierzu dann auch einige von mir Betrachtungen.

Der griechische Halbgott Eros, entstanden aus der Vereinigung eines Gottes und einer Sterblichen, vereint in sich Gottheit und Unvollkommenheit. Strebend nach der Vollkommenheit, dem Schönen, bleibt ihm Erfüllung doch selbst verwehrt.

Der Eros der Philosophie versteht sich als höchste Liebe zur Weisheit.

Erotik – abgegrenzt von „Sexualität“ lebt von der Überschreitung der Grenzen. Der Homo sapiens vor ca. 30.000 Jahren stellt erkennbar metaphyische Erstbetrachtungen an. Tod und Sexualität. Vergänglichkeit und sexueller Genuss, verewigt auf Steinplatten und Knochen.

Wann sich der Mensch aus ursprünglicher Animalität löste, was meint, dass das sexuelle Bedürfnis von der „nackten Verrichtung“ wie Essen und Trinken sich löste und die geheimnisvolle und prickelnde Welt der „verhüllten Erotik“ erkannte, lässt sich wohl schwer sagen. Der jüdisch-christliche Mythos der Schöpfungsgeschichte beschreibt die Geburt der „Schamhaftigkeit“. Adam und Eva erkannten, dass sie nackt waren.

So es die „Scham“ zu hüten gab, bedurfte es der Wächter in Form von Tabus und Verboten. Die es zu brechen galt. Denn Verbotenes hat einen besonderen Reiz. Und besonders die Freude an der Lust, die direkt aufrufbar war. Denn, wie der französische Philosoph Georges Bataille sehr richtig beschrieb: „Niemals taucht für den Menschen das Verbot auf, ohne dass er den Genuss entdeckt, und nie findet er den Genuss ohne das Gefühl des Verbots“.

Platon war der Erotik abhold. Für ihn war der „Eros“ der Trieb, sich einer philosophischen Erkenntnis zuzuwenden. Der Mensch zweigeteilt, Seele, Leib, geistig und materiell. Rein, unrein. Er plädiert für eine Entscheidung zum Reinen. Nietzsche sagte einmal dazu, dass seit Sokrates die Philosophie unter der Herrschaft der Moral sei.

Wollust war das Böse, die Sünde schlechthin. Charles Baudelaire schrieb hierzu: „Die einzige und höchste Lust der Liebe ruht in der Gewissheit, das Böse zu tun. Und Mann und Frau wissen von Anfang an, dass sich im Bösen alle Wollust findet.“

So denn auch jüdisch-christliche Kulturkreise die Erotik schmähten, geahndet wissen wollten, gibt es unverkennbar auch dort die erotische Komponente, das Erleben im Mystischen. In der Hingabe an den „Eros“ nichtweltlicher Liebe. Eine spirituelle Erfahrung in einer Ekstase, die orgiastische Erlösung bringt. Nicht selten geschieht es, dass diejenigen auf mystischem Wege „durch das Wasser eines fleischlichen Flusses befleckt werden“ (Bonaventura: Philosoph, Scholastiker, Franziskaner).

Die „Zeit der Aufklärung“ stellte die Erotik wieder in den Fokus. In ihren Kunstwerken und als in die Philosophie integriertes Element des Genusses. Des Lebens schlechthin. Die „Sinne“ gegen die reine „Geistigkeit“ platonischer Ansichten. Die Wichtigkeit der ästhetischen Schönheit, die über das animalische (Zucht)gebaren sich in ihrer lustvollen Spielvariante präsentiert. Hierzu wieder Georges Bataille: „Die Schönheit, die in ihrer Vollendung das Animalische ausschließt, wird so leidenschaftlich begehrt, weil gerade sie durch den Besitz in animalischer Weise beschmutzt wird“.

„Erotik ist Überwindung von Hindernissen. Das verlockendste und populärste Hindernis ist die Moral.“ (Karl Kraus, Schriftsteller)

Frivole Anmerkung: Rousseau beklagt, daß die Lektüre erotischer Literatur nicht ganz mühelos sei und spricht von „jenen gefährlichen Büchern, die eine schöne Dame deshalb so unbequem findet, weil man sie nur mit einer Hand zu lesen vermag.“
Seitdem ist der Begriff „einhändige Bücher“ in die Literaturgeschichte eingegangen.

"Als die Stunde nahte, ging ich in den Tempel der Liebe. Während ich auf meine Göttin wartete, belustigte ich mich damit, mir die Bücher einer kleinen Bibliothek anzusehen, die sich im Boudoir befand. Sie waren sorgsam ausgewählt und so recht des Ortes würdig. Man fand da alle Schriften gegen die Religion und alles, was die wollüstigen Federn über die Freuden der Liebe geschrieben haben – verführerische Bücher, die den Leser in Flammen setzen und ihn nötigen, die Wirklichkeit zu suchen, von der sie nur das Abbild schildern. Ihre Betrachtung hatte mich in eine nicht mehr zu bändigende Erregung versetzt, als ich meine Geliebte eintreten sah."
(Aus den Erinnerungen von Casanova)

Und ich möchte hier mit Nietzsche enden:
"Die Predigt der Keuschheit ist eine öffentliche Aufreizung zur Widernatur. Jede Verachtung des geschlechtlichen Lebens, jede Verunreinigung desselben durch den Begriff 'unrein' ist die eigentliche Sünde wider den heiligen Geist des Lebens."

Mit allen Sinnen geniessen.

---


Um das Herz und den Verstand eines anderen Menschen zu verstehen, schaue nicht darauf, was er erreicht hat, sondern wonach er sich sehnt. (Khalil Gibran)


zuletzt bearbeitet 05.08.2018 12:03 | nach oben springen


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