#46

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 29.10.2017 19:43
von fjodorov (gelöscht)
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Zitat von Meridian im Beitrag #45
@fjodorov
Deutschland hat im Fall Jugoslawien etwas unterstützt, was sowieso nicht mehr aufzuhalten war. Jugoslawien war ein Kunststaat seit dem 1. Weltkrieg, dabei zunächst ein Königreich. Tito wusste nach dem 2. WK YU zusammenzuhalten, Milosevic hat zunehmend eine Politik wie "Serbien zuerst!" gemacht, wenn man es einmal frei nach Donald Trump interpretiert. Es ging also nicht nur um die wirtschaftlich stärksten Teilrepubliken.

Spanien gibt es jetzt seit Ende des 15. Jh. Nach der Reconquisita (Vertreibung der Mauren) waren auch die Königreich Kastilien (das "eigentliche" Spanien) und Aragon (spanisch- und katalanisch-sprachige Regionen) vereint. Es gibt weitere Regionen wie Galicien, Asturien, Navarra und das Baskenland, die teilweise autonomen Status genießen. Das sind die Nordprovinzen, die aus teilweise sehr alten Königreichen hervorgegangen sind. Sie waren nie oder nur kurzzeitig unter maurischer Herrschaft und haben deswegen eine längere Geschichte als Zentralspanien. Nach wie vor sind deren eigene Sprachen als Amtssprache akzeptiert.

Und zu den vielen Amtssprachen in Spanien: Natürlich ist die Amtssprache Spanisch. Doch es gibt auch regionale Amtssprachen:

Aragonesisch
Aranesisch
Asturisch
Baskisch
Galicisch
Katalanisch

Mit Ausnahme des Baskischen (eine völlig fremde Sprache, die mit keiner anderen europäischen Sprache eine Gemeinsamkeit hat) unterscheiden sich die anderen Sprachen vom Spanischen nicht stärker als z.B. bayrisch oder schwäbisch vom Hochdeutschen. Dialekte sind in Spanien nicht üblich. Vielmehr werden sie gleich als eigene Sprache gesehen.

Nichtsdestotrotz ist Spanien ein deutlich mehr gefestigter Staat, als es Jugoslawien jemals war.

Warum Deutschland nicht interveniert wie im Fall SLO und HR? Eigentlich ist es noch nicht soweit. DE hat doch erst interveniert, als die jugoslawische Armee mit militärischen Aktionen begonnen hat. Erst dann hat damals Genscher gedroht, SLO und HR anzuerkennen. Später hat er es verwirklicht. In Katalonien gar es zwar einen unnötig harten Polizeieinsatz, aber bislang hält sich das spanische Militär zurück.

Weitere Grund könnte sein: Die damalige Unabhängigkeitsbewegungen in YU fanden damals außerhalb der EU statt, die jetzigen Bestrebungen in Katalonien innerhalb der EU. Das hätte erhebliche Verschiebungen auf den Wirtschaftshaushalt zur Folge. Würde CAT tatsächlich unabhängig und erst einmal nicht in der EU, würde Deutschland noch mehr zum Geberland, weil ja der EU eine wirtschaftlich starke Region verloren ginge. CAT würde bestimmt in die EU wollen, aber Restspanien würde das verhindern, und es könnte zu Verkehrsblockaden (s. meinen vorigen Beitrag) kommen. Weitere Verarmung und Kriegsgefahr wären die Folge.

Vielleicht ist es auch ein Lerneffekt: DE unterstützt Unabhängigkeitsbestrebungen allgemein nicht mehr so sehr wie noch in den 90er-Jahren, weil man damit auch leichtfertig Kriegen noch Dynamik gibt (egal ob gewollt oder nicht). DE war 1990 gerade vereint und musste seine neue Rolle erst finden. Nachdem der Sozialismus in den ehemaligen Ostblockstaaten zusammengebrochen war, war er in YU noch vorhanden. Ich denke, DE hat auch deswegen die Unabhängigkeitsbestrebungen von SLO und HR gefördert, weil diese weg vom Sozialismus wollten.

Ich will die weder die deutsche Haltung während des Zerfalls von YU rechtfertigen oder kritisieren. Ich will auf die Unterschiede zw. YU und ES hinweisen.

Zu deiner Behauptung, dass die Menschen immer weniger bereit sind zu teilen und deswegen v.a. reiche Regionen unabhängig werden wollen, um ärmere Regionen nicht mehr zu finanzieren: Ja das stimmt zum Teil, aber nur zum Teil. Im Fall Norditalien, Katalonien und Flandern ist das nicht falsch. Aber oft kommen noch andere Gründe hinzu: Kataloniens Demütigung durch Franco, bei Flandern der Fakt, dass Flandern bis ins frühe 20. Jh vom damals reicheren Wallonien unterdrückt wurde und diese beiden Völker sich bis heute nicht mögen (außer, dass beide den belgischen König achten, was der einzige Grund ist, dass Belgien nicht zerfällt). Im Fall Norditalien ist es der Fakt, dass Italien als Staat erst seit 1861 existiert, also lange nicht so gefestigt ist wie Spanien.

Ein Sonderstatus ist Südtirol: Bestrebungen nach Unabhängigkeit gibt es natürlich, weil es sich um eine deutschsprachige Region handelt, aber sie sind derzeit schwach. Dass Südtirol derzeit die wohlhabendste Region Italiens ist, ist hier weniger relevant. Die Südtiroler haben gewissen Autonomiestatus und arrangieren sich mit den Italienern. Es gibt Bündnisse mit dem österreichischen Teil von Tirol. Ein unabhängiges Tirol, losgelöst von Italien und Österreich, fordern aber nur die wenigsten.

Schottland will auch unabhängig werden, aber es ist nicht reicher als der Durchschnitt von Großbritannien. Das Gleiche gilt für Korsika. Es ist sogar eher ärmer als das durchschnittliche Frankreich. Pegida hat zeitweise sogar einen Säxit gefordert. Sachsen ist nicht das reichste Bundesland Deutschlands. An diesen Beispielen will ich sagen, dass es bei den Unabhängigkeitsbestrebungen nicht nur um das Geld gebt.


Ich möchte nur auf die von mir farbig gekennzeichneten Sätze eingehen,denn diese bestätigen sehr deutlich meine Einschätzung,dass D mit unterschiedlichen Maßstäben misst,je nachdem welche politischen Ziele verfolgt werden.

Was die Sezessionsbestrebungen in Europa angeht bleibe ich bei meiner Meinung.Das nationalistische Vorstellungen dabei z. T. eine Rolle spielen ist dabei auch klar,nur werden diese durch die neoliberale Agenda,die nun fast ganz Europa erfasst hat,extrem gefördert.Das Wenige was man der Masse noch zubilligt soll und kann wohl auch nicht mehr geteilt werden.Das spielt den Nationalisten in Hände,da muss man nicht unbedingt nur nach Spanien blicken.Auch D,PL,H,die SK und CZ sind da präsente Beispiele.


"Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen"

Jean Jaurès (1859-1914)
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#47

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 03.11.2017 23:41
von Gelöschtes Mitglied
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Zitat von fjodorov im Beitrag #42
Die Sezessionsbestrebungen,die europaweit zu beobachten sind,sind ein Ergebnis der neoliberalen Ausrichtung des Kapitalismus.Sie hat zu einer gravierenden Umverteilung von unten nach oben geführt.Infolge dessen kommt es zu Verteilungskämpfen um die noch bei der Masse verbliebenen Mittel.Nicht von ungefähr sind es die wirtschaftlich entwickelten Gebiete die nach mehr Unabhängigkeit streben,weil die Menschen nicht mehr bereit sind zu teilen.


Diese Einschätzung teile ich nicht - sie erklärt die Sezessionsbewegungen auch nicht hinreichend.

Auf mich wirkt es eher so, dass es gegen die Internationalisierung - die häufig als Überfremdung emfpunden wird - eine Gegenbewegung gibt, die ein Zurückziehen auf das Vertraute beinhaltet. Dies äußert sich einerseits in deutlich konservativeren Grundströmungen in vielen Gegenden Europas aber auch darüber hinaus - und andererseits auch darin, dass man sich gleichgesinnte sucht, um sich mit denen von den anderen abzugrenzen.

Moderne Medien und ihre Vielfalt spielen dabei eine wichtige Rolle. 1960 gab es nur wenige Zeitungen und Fernsehsender - und diese brachten unter dem Stichpunkt Meinungsvielfalt immer auch unterschiedlichste Positionen.
2017 haben wir so viele verschiedene Medien, dass ein Konsument stets der Konfrontation mit der Gegenmeinung ausweichen kann. Dies führt dazu, dass man sich nicht mehr mit anderen Meinungen und Sichtweisen auseinandersetzt. Und dies wiederum verstärkt populistische Strömungen - also auch solche, wie sie beispielsweise mit Sezessionsbewegungen typischerweise einhergehen.

In Jugoslawien lag die Sache noch anders - ein künstlich zusammengezimmerter Staat brach auseinander, weil dieser weder demokratisch war, noch demokratische Mittel kannte, um geordnet auseinander zu gehen. Der bessere Vergleich mit Jugoslawien wäre demnach die Entwicklung der Tschecheslowakei - die sich geordnet und demokratisch in Tschechien und die Slowakei aufgepaltet hat.

Die Sezessionsbewegungen von heute finden wir in Katalonien und in einige anderen Gegenden der EU - wobei die entsprechende Bewegung in Norditalien inzwischen wieder den Pfad des Rechtsstaats eingeschlagen hat,.


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#48

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 06.11.2017 06:55
von Archimedes | 148 Beiträge

Warum sollte ein Staat auch den Verfassungsbruch Kataloniens anerkennen? Ich verstehe die Diskussion echt nicht. Und der Vergleich mit Jugoslawien ist gelinde gesagt etwas überzogen. Die Katalonische Regionalregierung hat sich vergallopiert. Die spanische Zentralregierung hat durch ihr Verhalten noch den Irrweg ausgeschildert. Das nennt man wohl verfahrene Situation.


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#49

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 06.11.2017 18:05
von Findus (gelöscht)
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Und durch Rajoy's Politik macht er selbst die Situation noch verfahrener.
Wenn er nicht auf Puigdemont und Regierung zugehen kann (was keinesfalls inhaltiche Zugeständnisse bedeuten muss!), sollte Rajoy lieber den Platz für einen kommunikationsstärkeren Nachfolger frei machen. Das wäre vielleicht eine Chance, dass wieder miteinander gesprochen wird.


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#50

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 07.11.2017 11:46
von Archimedes | 148 Beiträge

Ja aber wir reden doch von Politikern. Wer macht da schon freiwillig den Weg frei?


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#51

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 07.11.2017 12:37
von Minou | 149 Beiträge

Neuwahlen würden höchstwahrscheinlich beweisen, dass die Anhänger einer Abspaltung wesentlich weniger sind, als man nach der Lautstärke ihrer Befürworter annehmen kann.


Beginne den Tag mit einem Lächeln, denn jeder Tag ist ein Geschenk.
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#52

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 07.11.2017 14:48
von Archimedes | 148 Beiträge

In Katalonien gibt es ja im Dezember Neuwahlen. Ich hoffe alles Katalanen und Spanier in der Region beteiligen sich. Und ich hoffe noch mehr, dass sich nicht alle von irgendwelchen Demagogen aufhetzen lassen. Aber ich befürchte da so einen gewissen Drang zum politischen Selbstmord.


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#53

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 07.11.2017 15:31
von MaMi (gelöscht)
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Ich würde für die kommenden Wahlen keine Prognosen abgeben.


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#54

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 07.11.2017 18:56
von grimmstone | 478 Beiträge

Zitat von MaMi im Beitrag #53
Ich würde für die kommenden Wahlen keine Prognosen abgeben.


Sehe ich auch so.
Allerdings hat die Regierung in Madrid alles nur mögliche dafür getan, dass sich Katalonien abspaltet.


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#55

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 08.11.2017 14:40
von Archimedes | 148 Beiträge

Sagen wir mal so Rajoy ist so ziemlich das Beste, was den Separatisten passieren konnte. Aber man darf ja dennoch hoffen, dass es ein paar Vernünftige mehr gibt.


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#56

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 08.11.2017 17:55
von Findus (gelöscht)
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Zitat von Archimedes im Beitrag #55
Sagen wir mal so Rajoy ist so ziemlich das Beste, was den Separatisten passieren konnte. Aber man darf ja dennoch hoffen, dass es ein paar Vernünftige mehr gibt.


Stimmt. Niemand anders könnte einen besseren Wahlkampf für die Seperatisten machen als Rajoy.


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#57

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 12.11.2017 11:24
von MaMi (gelöscht)
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Ich kann mir vorstellen, dass solche Unabhängigkeitsbestrebungen einzelner Regionen sich in den nächsten Jahren häufen werden. Natürlich positioniert sich die EU Administration im Fall Katalonien eindeutig pro Zentralregierung in Madrid. Schon, um nicht dazu beizutragen, dass damit eine Tür aufgestoßen wird.



zuletzt bearbeitet 12.11.2017 11:24 | nach oben springen

#58

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 23.12.2017 12:36
von Findus (gelöscht)
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Die Wahl wurde durch die Unabhängigkeits-Parteien in Katalonien klar gewonnen.
Es wird sich zeigen müssen, wie es weiter geht. Ist Rajoy - nachdem er vollends mit seiner Strategie der harten Hand gescheitert ist - bereit, mit Katalonien zu reden? Spanien hat 17 Autonomieregionen - manche mit deutlich mehr Rechten ausgestattet als Katalonien (z.B. auch die Finanzhoheit im Baskenland). Warum greift Rajoy nicht einfach auf diese Blaupausen zurück, anstatt zu eskalieren?


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#59

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 23.12.2017 13:07
von Meridian | 2.863 Beiträge

Das sollte Rajoy tatsächlich überlegen. Bleibt er bei der harten Hand, kann sich die Sache derart hochschaukeln, dass Katalonien nur noch die totale Unabhängigkeit will und nichts anderes mehr.

Ein anderes Bsp. ist der Kosovo. Vor dem Unabhängigkeitskrieg, bei dem die NATO eingegriffen hat, haben die Serben die Kosovaren derart unterdrückt, dass diese nur noch eine vollständige Unabhängigkeit von Serbien akzeptieren*. Das Problem ist aber bis heute nicht gelöst.


*Oder einer Wiedervereinigung mit Serbien, aber unter der Führung des Kosovo


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#60

RE: Katalonien will unabhängig werden

in Europa 01.02.2018 00:49
von Gelöschtes Mitglied
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Ich kann derzeit nicht erkennen, dass die Abspaltungsbefürworter inhaltlich einen sinnvollen Kurs fahren. Puigdemont ist faktisch verbrannt! Auch ist es so, dass er so unglaublich viele Fehler in der Sache begangen hat, dass es eigentlich klar ist, dass er nicht mehr Regierungschef eines Kataloniens sein kann, das einen Ausgleich in der Sache mit Madrid sucht.

Würde es Puigdemont um Katalonien gehen, würde er sich zugunsten eines Nachfolgers zurückziehen. Tatsächlich geht es ihm aber nicht um Katalonien, sondern nur um seine eigene Person.

Faktisch würde die Bedeutung Puigdemonts steigen, wenn er sich selbst nicht so wichtig nehmen würde......

Nein - für die verzwickte Situation in Katalonien ist Puigdemonts mindestens so schuldig wie Rajoy - allerdings inhaltlich auf sachlich schwächerem Argumentationsgrund. Dass der Karren so in den Dreck gefahren wurde, anstatt nach Lösungen zu suchen - das ist zu einem hohen Anteil auch dem Kurs Puigdemonts geschuldet - und das obwohl er stets wusste, dass er für seinen Kurs keinerlei Unterstützung aus der EU und darüber hinaus zu erwarten hat.


Inhaltlich mache ich keinen Hehl daraus, dass ich die Ideenwelt von Puigdemonts für total veraltet halte - sie passt nicht in ein modernes Europa! Faktisch wurde den Katalanen ein hohes Maß an Eigenständigkeit zugestanden - wenn auch einige wenige Punkte Seitens Madrid nicht erfüllt wurden. Warum nun genau die fehlenden Zugeständnisse dazu führen, dass Katalonien seine Unabhängigkeit ausrufen muss - das erschließt sich nicht, wenn gleichzeitig Katalonien fordert, Teil der EU sein zu dürfen.

Aus grundsätzlichen Überlegungen heraus halte ich die Position von Puigdemonts für fragwürdig. Ich halte ihn für den Hauptverantwortlichen für die vertrackte Situation - nicht Rajoy. Rajoy kann den Prozess nur Verzögern, der Katalonien sehr selbstbewußt zu mehr Rechten führt. Puigdemont hingegen hat einen Bärendienst geleistet - denn durch sein Agieren gibt es nun glaubwürdige Begründungslinien, warum man mehr Rechte für Katalonien nicht zulassen darf.


Die Bürger Kataloniens, die sich mehr Freiheit von Madrid wünschen, müssten in der Folge Puigdemonts in die Wüste schicken.....denn mit ihm ist mehr Freiheit nicht möglich.


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