#1

Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 05.12.2019 09:45
von Anthea | 12.405 Beiträge

Gestern war der 94-jährige Sally Perel zu Gast bei Stern TV. Ein beeindruckender Mann, dessen Leben im Film "Hitlerjunge Salomon" 1990 gezeigt wurde.

Eine Begegnung mit ihm - und sei es nur auf dem Bildschirm und nicht real bei seinen Vorträgen - stimmt nachdenklich zu all der Betroffenheit, die ein Erinnern an diese grausige, grausame Zeit der Unmenschlichkeit hervorruft.

Nachdenklich, weil sich unweigerlich die Frage stellt, ob man selbst "so weit" gegangen wäre, sich und seine Herkunft, seinen Glauben und seine Werte verleugnet hätte für sein Leben?
Ich denke, dass viele, die meisten? so gehandelt hätten. Und im Grunde genommen könnte man niemanden wirklich einen Vorwurf machen, denn ein jeder hat nur dieses eine Leben...Und nur wenige sind zum Märtyrer oder Helden gemacht.

Erschreckend ist, wie jedoch nach der Devise "Steter Tropfen höhlt den Stein" Herr Perel sich selbst als Opfer der Einflüsterungen sehen musste, er nahm diese an und lebte die Selbstverständlichkeit einer Ideologie, die als "normal" oktroyiert wurde, über die er später erst wieder nachdachte und verurteilte.

---


Ich bin der Wahrheit verpflichtet, wie ich sie jeden Tag erkenne, und nicht der Beständigkeit.
Mahatma Gandhi


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#2

RE: Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 05.12.2019 10:33
von Meridian | 2.860 Beiträge

Hier eine Zusammenfassung des Filmes, den ich vor vielen Jahren gesehen habe.

https://de.wikipedia.org/wiki/Hitlerjunge_Salomon

Die deutsche Kritik an diesem Film ist beschämend.

Doch zum Thema: Sally war Jugendlicher. Und seine ganze Zeit war ein steter Kampf ums Überleben und auch stets die Angst, dass seine Beschneidung auffliegt. Im Film opferte er sogar einen Zahn, um sich vor einer zärtlichen Kontrolle (die stets nackt war) zu drücken.

Wie sagt man: "In der Not frisst der Teufel Fliegen." Sally muss sich nichts vorwerfen. Als Jugendlicher, der auch noch regelrecht vom Schicksal getrieben wurde, neigt man, sich an jedem Halt zu klammern. Die deutschen Kameraden gaben ihm durchaus einen guten Halt (natürlich stets vorbehaltlich eines Auffliegens), die ein Jugendlicher braucht, besonders wenn er schon mit der Heimatlosigkeit zu kämpfen hatte und das Schicksal seiner Eltern zum damaligen Zeitpunkt ungewiss war. Und er war ja auch von den Deutschen sehr beeindruckt: ihr Zusammenhalten, das Land, das technisch weit voraus war. Aber er sah auch ihren Hass auf alles Nichtdeutsche, besonders gegen die Juden. Dass er damals einen Teil der Nazi-Ideologie annahm, braucht man ihm dennoch nicht vorwerfen. Und offenbar hat er das später auch aufgearbeitet.

Da ging einer wie Günter Grass anders um: Der war ja in der SS, gab das erst über 60 Jahre später zu. Immerhin gab er es zu. Aber was man ihm zurecht übel nahm, war, dass er vor seinem Zugeben stets gegen andere moralisierte, die mit der Nazivergangenheit zu tun hatten. Da er als Jugendlicher dort war, hätte er sich gar nicht so viele Vorwürfe machen müssen, selbst wenn er sich freiwillig dort gemeldet hätte. Die ganze Stimmung zeigte in diese Richtung, und wer damals nicht in der Hitlerjugend war, war quasi von der Volksgemeinschaft ausgeschlossen. Versuche das einmal, als Jugendlicher auszuhalten.

Auch der eremitierte Papst Benedikt alias Ratzinger war in der Hitlerjugend. Seine Eltern wollten das offenbar nicht, weil sie das Naziregime nicht mochten. Aber sie taten es trotzdem, damit er nicht vom Kontakt mit anderen Jungen ausgeschlossen wurde. Man wusste ja damals nicht, wie lange das Dritte Reich dauern würde. Wäre Hitler mit der Größe Deutschlands von 1937 zufrieden gewesen, hätte er vielleicht bis zu seinem Tod regieren können. (So wie Franco, dem Spanien genug war und bis 1975 herrschte.) Und selbst nach seinem Tod wäre ja nicht sicher gewesen, ob Deutschland sich dann demokratisiert hätte oder ein Nachfolger einfach weiter gemacht hätte.


[Nebenbei: Greta Thunbergs Not war noch nicht groß genug, dass sie fliegen würde. Ob sie das tut, wenn sie in Lebensgefahr ist und nur ein Flug ihr Leben retten würde, aber sie zum Zeitpunkt der Entscheidung im Besitz ihrer vollen geistigen Kräfte ist?

Die Zeugen Jehovas lassen den Teufel keine Fliegen fressen. D.h. sie verweigern Blutspenden, auch wenn ohne Blutspende der Tod droht.]


Die äußere Welt ist der Spiegel deines Inneren.
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#3

RE: Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 05.12.2019 10:45
von Anthea | 12.405 Beiträge

Was mich gestern persönlich betroffen gemacht hat (ich habe den Film nicht gesehen), als ich Herrn Perel gesehen und gehört hatte, das war die eigene "Selbstgefällikeit", die mich oft über damalige Menschen hat urteilen lassen. Dabei völlig außer Acht lassend, dass sie wahrscheinlich gar keine Wahl hatten, so ihnen ihr Leben lieb war.

Meine Bewunderung für diejenigen, die in irgendeiner Form "Widerstand" leisteten - wobei Menschlichkeit Überhand gewonnen hatte gegenüber Angst und Feigheit, war immer vorhanden. Aber eben negierend, dass nicht alle "Helden" waren und ihre Verantwortung gegenüber Familie und Kindern obenan stellten. Und somit auch eine gewisse "Identifizierung" erleben konnten, mussen.

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Mahatma Gandhi


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#4

RE: Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 15.12.2019 12:57
von Anthea | 12.405 Beiträge

Ich hole mal diesen Thread wieder nach vorne.

Mir fielen dazu auch die Überlebenden eines Flugzeugabsturzes ein. Und die einzige Möglichkeit des Überlebens: Kannibalismus.
Da fragte ich mich schon, ob ich das gekonnt hätte? Ich könnte z.B. niemals ein Tier essen, das ich "gekannt" habe.

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Mahatma Gandhi


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#5

RE: Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 17.12.2019 22:23
von Atue (gelöscht)
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Ich kann es wirklich nicht sagen. Ich kann sagen, wie weit ich gehen "will" wenn ich mir das heute überlege. Aber mir ist völlig klar, dass unter Extremsituationen so manches passiert, wofür man sich vielleicht den Rest des Lebens schämt. Ich denke im Übrigen, dass das auch ein Grund dafür war, dass nach dem Krieg über die Kriegszeit wenig geredet wurde.



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#6

RE: Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 18.12.2019 20:33
von kuschelgorilla | 3.292 Beiträge

Ganz ehrlich - ich war noch nie in einer solchen Extremsituation. Wie soll ich wirklich sicher wissen, wie ich damit umgehen werde?
Klar - ich habe ethische Grundsätze und kann mir vieles nicht vorstellen. Aber wenn man dann tatsächlich in der Situation ist, will ich jetzt auch für mich nicht die Hand ins Feuer legen.


Meine Motivation ging heute morgen winkend und lächelnd an mir vorbei


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#7

RE: Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 11.01.2020 18:52
von Anthea | 12.405 Beiträge

Muss nicht jeder Soldat, der in den Krieg zieht, genau diese Überlegungen im Vorfeld schon ad acta legen?
Denn er muss schließlich das Schlimmste aller Dinge tun: Bereit sein, anderen das Leben zu nehmen.

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#8

RE: Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 12.01.2020 05:32
von heiner | 881 Beiträge

Leben ist alles & doch viele Sozialdemokraten standen stolz vor Hitlers "Mord-Gerichten", sind aufrechten Gangs in den Tod gegangen, das waren die Besten im Lande.


Wir wollen eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet und mehr Mitverantwortung fordert. (Willy Brandt)
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#9

RE: Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 12.01.2020 10:27
von Anthea | 12.405 Beiträge

Zitat von heiner im Beitrag #8
Leben ist alles & doch viele Sozialdemokraten standen stolz vor Hitlers "Mord-Gerichten", sind aufrechten Gangs in den Tod gegangen, das waren die Besten im Lande.


Kannst du da mal Beispiele bringen? Und was war denn so gut an denen? Waren das "Fahnenflüchtige"? Und wieso Sozialdemokraten?
Und was hat das mit "überleben" zu tun? Allenthalben etwas mit Märtyrertum.

Und die in der Headline gestellte Frage beantwortet das nicht!

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#10

RE: Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 12.01.2020 11:08
von heiner | 881 Beiträge

Rudolf Breitscheid † 1944 KZ Buchenwald
Lorenz Breunig† 1945 KZ Sachsenhausen
Conrad Broßwitz † 1945 KZ Dachau
Otto Eggerstedt † 1933 KZ Esterwegen
Nur eine kleine Liste, es waren Tausende.
Wer fragt:"Wie weit würdest du gehen um zu überleben?" Da wird eben auch gefragt, wie weit gingen jene, die vor den "Nazi-Schergen" nicht eingeknickt sind. Mein Großvater hatte auf Anordnung der Nazis, seinen SPD Ortsverein aufgelöst, sagte damit, bis hierhin gehe ich fürs Wohlergehen meiner Familie.


Wir wollen eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet und mehr Mitverantwortung fordert. (Willy Brandt)


zuletzt bearbeitet 12.01.2020 11:15 | nach oben springen

#11

RE: Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 12.01.2020 13:58
von Meridian | 2.860 Beiträge

Solange sich Repressionen nur gegen die eigene Person richten, sind so manche bereit, für ihre Überzeugung zu sterben. Doch viel schlimmer wird es, wenn Angehörigen oder Personen, die man sehr lieb hat, droht, also diese als Geiseln benutzt. Und dabei Drohungen kommen, man würde sie vergewaltigen, töten oder so extrem verstümmeln, dass sie um den Tod sogar betteln würden. Letzteres kann schon als Drohung wirksamer sein als der Tod, den man hier eher als Erlösung sieht.

Bei dem Anschlag des IS in Brüssel wurden nach Durchsuchungen und Verhaftungen von IS-Mitgliedern Unterlagen gefunden von Mitarbeitern des Atomkraftwerks Tihange, darunter deren Adressen. Wollte der IS vielleicht Angehörige in Geiselhaft nehmen, damit die Mitarbeiter den IS-Schergen Zugang zum Atomkraftwerk geben?

Man stelle sich nun vor, man wird gezwungen, Terroristen Zugang zu einem AKW zu geben mit der Drohung, dass alle Verwandten bis zu 3.Grad sonst bestialisch umgebracht werden. Dabei musste man schon bei der Tötung eines nahen Verwandten zusehen, um zu zeigen, dass sie es ernst meinen. Du weißt, dass die Terroristen vorhaben, das AKW zu sprengen oder es zunächst als Geisel zu benutzen, um damit alle möglichen und unmöglichen Forderungen gegen Europa zu stellen, z.B. die komplette Islamisierung sowie die Übergabe aller französischer Atomwaffen an den IS.

Du weißt, was ein Super-GAU zur Folge hat: Radioaktive Verseuchung großer Landstriche für eine sehr lange Zeit, viele Tote durch Strahlenkrankheit, wirtschaftlicher Niedergang und Verarmung größerer Regionen oder sogar vieler Länder. Bist du bereit, deine Familie dafür zu opfern? Wie du auch entscheidest, du machst dir heftige Vorwürfe, sei es am Tod deiner Verwandten oder dass durch dein Handeln ganze Regionen verstrahlt würden.

Kurz: Wie weit würdest du gehen unter Androhung des Todes gegen deine Verwandten? Würdest du auch etwas tun, was die Sicherheit des Landes erheblich gefährden würde?


Die äußere Welt ist der Spiegel deines Inneren.
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#12

RE: Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 12.01.2020 21:52
von kuschelgorilla | 3.292 Beiträge

Lesen:
William Golding: Herr der Fliegen


Meine Motivation ging heute morgen winkend und lächelnd an mir vorbei


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#13

RE: Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 28.01.2023 18:00
von Anthea | 12.405 Beiträge

Ich verweise auf #7. Hier wird die Entscheidung vorweg genommen. Sei es erzwungenermaßen bei Rekrutierung oder Verdrängung der Tatsache, dass Überleben abhängig ist vom Tod anderer!
Schwierig. Und Traumata-behaftet. Nichts ist nach Ende eines Krieges mehr wie vorher.

Es gibt nur eine Lösung, damit niemand in ein emotionales Dilemma gerät: FRIEDEN.
Man wird ja wohl noch träumen dürfen...

---


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#14

RE: Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 28.01.2023 18:19
von SirPorthos | 3.127 Beiträge

Zitat von Anthea im Beitrag #13
Ich verweise auf #7. Hier wird die Entscheidung vorweg genommen. Sei es erzwungenermaßen bei Rekrutierung oder Verdrängung der Tatsache, dass Überleben abhängig ist vom Tod anderer!
Schwierig. Und Traumata-behaftet. Nichts ist nach Ende eines Krieges mehr wie vorher.

Es gibt nur eine Lösung, damit niemand in ein emotionales Dilemma gerät: FRIEDEN.
Man wird ja wohl noch träumen dürfen...

---


Moin !

Ja, jeder Regierung der Welt sollte der Frieden am Herzen liegen.

Alles andere regelt sich dann von selbst. Eigentlich inkludiert "Frieden" jegliche gutgemeinten Wahlprogramme.

Lieben Gruß !


Imperare sibi maximum bellum est
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#15

RE: Wie weit würdest du gehen um zu überleben?

in Medizin und Psychologie 29.01.2023 15:19
von Anthea | 12.405 Beiträge

Sehr richtig, lieber SirPorthos.
Besonders richtig, da du "eigentlich" schreibst!


Ich bin der Wahrheit verpflichtet, wie ich sie jeden Tag erkenne, und nicht der Beständigkeit.
Mahatma Gandhi


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