#1

Die Einsamkeit des Seins

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 21.06.2017 09:55
von Anthea | 12.406 Beiträge

Das Gefühl des „Allein seins“ kennt sicherlich ein jeder. Mehr oder weniger fand man sich in Situationen, wo einem bewusst wurde: "Du bist allein". Aber es ist nicht nur eine schlechte Erfahrung, die man daraus schöpft. Denn es ist auch die bewusste Zurückgezogenheit, das Bedürfnis nach Atem schöpfen, die so genannte „Aus-Zeit“ sich nehmen. Um danach „auf zu neuen Ufern“ brechen zu können. Zeit der Besinnung. „Allein sein“ meint dann nicht die Einsamkeit in der beängstigenden Erkenntnis der tatsächlichen menschlichen/sozialen Isolation.

Heidegger verknüpft in seinem (schwierigen) Denken beispielweise die großen Fragen der Philosophie nach dem Sein und dem Nichts mit fundamentalen Dingen wie beispielsweise Angst, Langeweile, Gleichgültigkeit und EINSAMKEIT. Und hier – von letzterem ausgehend – ist diese Bedrohung des „Seins“, der Existenz, der „Qualität“ ein wichtiges Findungsinstrument zu Lösungs- und Erklärungsfragen.

Ich bin hier weder eine große Heidegger-Kennerin noch Liebhaberin. Folglich kann ich nur eine Interpretation geben, wie – vereinfacht dargestellt – sich das Problem der Einsamkeit auf das Leben, das Sein, auswirkt.

Wenn wir also jetzt „Sein“ mit Existenz erklären, ist dann nicht zwingend notwendig die soziale Komponente, das „mit“ anstatt das „ohne“?

„Arm in Arm mit dir, so ford´re ich mein Jahrhundert in die Schranken“ ließ Schiller seinen Don Carlos sprechen. Gemeinsamkeit statt Einsamkeit. Obwohl es ja durchaus auch die schlimme „gemeinsame Einsamkeit“ gibt. Wo sich Menschen nichts mehr zu sagen haben und aneinander gekettet durch Fesseln und Zwänge die „Einsamkeit des Seins“ spüren.

<<Wir verbringen unser Leben in einer Festung und lassen nur selten die Zugbrücke herunter<< (Anthony McCarten)
Und wenn Krishnamurti schreibt:

"Alleinsein kann es erst geben, wenn die Einsamkeit aufgehört hat"

dann verstehe ich ihn darin so, dass eben „Einsamkeit“ das Gefühl ist, die Emotion - „Alleinsein“ jedoch der Zustand.

Ich hörte heute einmal einen sehr schönen Satz in einem Film: „Meer und Schöpfung sind der Tanz Gottes, tanzen wir mit.“ Vielleicht etwas „kitschig“ – aber mir gefällt es.



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#2

RE: Die Einsamkeit des Seins

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 21.06.2017 13:43
von antenna (gelöscht)
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Forscher wollen herausgefunden haben, dass mehr Zeit allein erfolgreicher, unabhaengiger und kreativer macht. Da koennte was dran sein.
Allein sein bedeutet nicht einsam zu sein.
Buddha fand die Erleuchtung nicht auf einer Party oder Fussballplatz, sondern allein unterm Feigenbaum.
Goethe schrieb seine Werk nicht im Grossraumbuero, sondern allein im Zimmer.

"Kein Schwein ruft mich an" singen die Einsamen. "Ich lass es einfach klingeln - und wenn's nicht klingelt, ist auch gut, singen die, die sich gern Zeit fuer sich nehmen.


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#3

RE: Die Einsamkeit des Seins

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 21.06.2017 14:37
von Anthea | 12.406 Beiträge

Zitat von antenna im Beitrag #2
Forscher wollen herausgefunden haben, dass mehr Zeit allein erfolgreicher, unabhaengiger und kreativer macht. Da koennte was dran sein



Ja schon - oder besser vielleicht "sowohl als auch".

Man redet ja auch von "Eigenbrödlern", den Kontaktarmen. Die "besser" werden, wenn sie Gesellschaft haben.

Mir fiel Kafka ein, dabei nicht vergessend, dass er in geistiger Umnachtung verstarb.

Dieser schrieb:

<<Ich muß viel allein sein. Was ich geleistet habe, ist nur ein Erfolg des Alleinseins.<<

Wobei ich in diesem Zusammenhang daran denke, wie gering ein Schritt vom "Genie zum Wahnsinn" doch sein kann.



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#4

RE: Die Einsamkeit des Seins

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 21.06.2017 16:07
von antenna (gelöscht)
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Zeit mit dir ist Zeit fuer dich. Fuer deine Gefuehle, Gedanken und Beduerfnisse. Du lernst dich besser kennen, wirst nicht abgelenkt oder gestresst von dem, was andere von dir erwarten. Dein Gehirn hat mehr Ressourcen fuer die Frage, was fuer dich richtig und wichtig ist. Das staerkt das Vertrauen in dich und deine Faehigkeiten. Ein wesentlicher Faktor fuer Erfolg.
Zeit allein laesst unsere Kreativitaet nachweisbar aufbluehen. Im Kontakt mt der Stille jenseits von Ablenkung, koennen wir die alten Schienen des Denkens leichter verlassen. Mehr Zeit allein ist mehr Zeit fuer sorgfaeltige Entscheidungen und die sind in der Regel die besseren.

Aber: es ist schon richtig -- "sowohl als auch". Auch hier gilt es, die richtige Balance zu finden.
Der Mensch ist ein soziales Wesen und Psychologen behaupten, dass Einsamkeit ihn belastet, ja krank machen kann.
In der Evolution des Homo sapiens war es fuer jedes Individium uebelebenswichtig, die Verbindung zur Horde zu erhalten.

Die "Verbindung zur Horde" zu erhalten, zur Gesellschaft, zu Freunden zu pflegen, bedeutet, das Alleinsein nicht gleich Einsamkeit bedeutet.


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#5

RE: Die Einsamkeit des Seins

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 22.06.2017 11:04
von Hamlets Gummibärchen (gelöscht)
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Liebe Anthea, ich will ja nicht zum Pedantino des Forum ernannt werden, aber ich glaube, daß Du nicht Kafka meinst, sondern Nietzsche. Kafka starb 1924 an der TBC,.Nietzsche 1900 an Geistesverwirrung, wie man das damals etwas beschönigend ausdrückte.


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#6

RE: Die Einsamkeit des Seins

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 22.06.2017 11:13
von Hamlets Gummibärchen (gelöscht)
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Zitat von antenna im Beitrag #2
Forscher wollen herausgefunden haben, dass mehr Zeit allein erfolgreicher, unabhaengiger und kreativer macht. Da koennte was dran sein.
Allein sein bedeutet nicht einsam zu sein.
Buddha fand die Erleuchtung nicht auf einer Party oder Fussballplatz, sondern allein unterm Feigenbaum.
Goethe schrieb seine Werk nicht im Grossraumbuero, sondern allein im Zimmer.

"Kein Schwein ruft mich an" singen die Einsamen. "Ich lass es einfach klingeln - und wenn's nicht klingelt, ist auch gut, singen die, die sich gern Zeit fuer sich nehmen.

Ich bin gerne manchmal allein, und ich bin gerne mit anderen zusammen. Was ich nicht mag, ist, immer allein sein oder dauernd mit anderen together. Wie ein Dichter meiner frühen Jugend es ausdrückte: "Togetherness an den Haaren herbeigezogen, wenn ich an Adam denke oder die segensreieche Erfindung des Fahrstuhls" (P.G.Hübsch, später dann Hadayatullah Hübsch) Ich habe das Glück, in einem Haus zu wohnen, deren Bewohner seit fast 50 Jahren miteinander befreundet sind - ich bin der Jüngste: mich kennt man erst seit 30 Jahren. Aber es ist keine Wohngemeinschaft, sondern eine Freun deshorde und Hausclique, die es eben auch erlaubt, sich mal ttage- und wochenlang nicht zu sehen. Die alltagliche Leere am Spülbecken, wie sie WGs nachgesagt wird, habe ich immer vermeiden können. Das war nie eine denkbare Alternative für mich.


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#7

RE: Die Einsamkeit des Seins

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 22.06.2017 16:50
von Anthea | 12.406 Beiträge

Zitat von Hamlets Gummibärchen im Beitrag #5
Liebe Anthea, ich will ja nicht zum Pedantino des Forum ernannt werden, aber ich glaube, daß Du nicht Kafka meinst, sondern Nietzsche. Kafka starb 1924 an der TBC,.Nietzsche 1900 an Geistesverwirrung, wie man das damals etwas beschönigend ausdrückte.


Ach, ich denke immer an Nietzsche. ;-)))
Natürlich liegst du da richtig und ich falsch. Aber ich habe Kafka noch nie als "normal" angesehen. Ich frage mich auch immer, ob da Leser in seine Geschichten viel hinein interpretieren, was er so gar nicht gemeint hat?

Das ist für mich genau so wie staunende vor einem so genannten "Kunstwerk" sich aufhaltende Menschen, die ah und oh rufen, bedächtig und durchblickend gucken. Und in einem schwarzen Punkt auf schwarzem Grund dann "den Sinn des Lebens" zu erkennen glauben, was der Maler vornehmlich damit ausgedrückt habe. So ähnlich.
Überspitzt gesagt. In manchen Dingen bin ich eben eine Kunstbanausin. Dafür schäme ich mich allerdings keinesfalls. Lach*.


Welch triste Epoche, in der es leichter ist, ein Atom zu zertrümmern als ein Vorurteil!
Albert Einstein
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#8

Gedanken zur gemeinsamen Einsamkeit!

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 20.12.2020 16:36
von Anthea | 12.406 Beiträge

Aus gegebener Veranlassung der heutigen besonderen Zeit geschuldet, hole ich diesen Thread hoch. Denn es ist schlimm und ich finde eigentlich keine Worte für eine solche Situation, dass Menschen isoliert werden müssen. Und dann "Jeder stirbt für sich allein" traurige Wahrheit wird.
Und abgeschwächter, Menschen ohne Ansprache zu Hause sitzen.

Da wird auch ein Zitat des jüdischen Schrifstellers Stefan Heym keinen Trost bringen, der schrieb: "Trost findet man im alten Mittel der Einsamen und Hungrigen: der Philosophie".

Aber ist dieses Zitat nicht eigentlich als allgemeingültig anzusehen für alle Bereiche? Und was ist eigentlich "allgemeingültig"? Fakten, nachprüfbare Dinge, ohne Zweifel. Aber Religion, Philosophie, Glauben und Suchen nach dem „Sinn“ jeglicher Handlung und des Lebens in seiner Gesamtheit schlechthin ist Interpretation einer verborgenen Wahrheit. Diese wird von einem jeden anders ausgelegt und verstanden. Und sie ist subjektiv, individuell, jedoch auch großartig, wenn Überlegen und Nachdenken ein Ergebnis aus eigenem Ursprung ausweist, fernab von Einflüsterungen. Eine "einsame" Entscheidung...

Ich glaube hedoch nicht, dass Menschen in einer Zwangsisolation die Erkenntnisse von Schopenhauer zu würdigen wissen.

"Ganz er selbst sein, darf jeder nur, so lange er allein ist; wer also nicht die Einsamkeit liebt, der liebt auch nicht die Freiheit. Denn nur wenn man allein ist, ist man frei“.

Das ist natürlich "graue Theorie" und bestimmt nicht den Einsamen, Verlassenen, Vergessenen zu vermitteln. Juhu, freut euch über eure Freiheit. Keiner stört, keiner redet rein, ihr könnt tun, was immer ihr wollt, ihr seid frei...!

Nun meinte Schopenhauer wohl kaum als erstrebenswertestes Ziel die lebenslange Eremitage Innerlich frei sein ist das Wichtigste. Und in einer Zweisamkeit oder inmitten vieler Menschen kann man sich erst recht "einsam" fühlen.

Das standhafte "Ich", das "Ich sein" ist das einsamste Wesen auf der Welt...


Ich bin der Wahrheit verpflichtet, wie ich sie jeden Tag erkenne, und nicht der Beständigkeit.
Mahatma Gandhi


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