Klassische westliche Demokratiesysteme basieren auf dem Versuch, durch Gewaltenteilung und gegenseitige Kontrolle der Gewalten das Gesamtgebilde Handlungsfähig und stabil zu halten.
Das gelingt häufig ganz gut - allerdings sind die Systeme regelmäßig auch anfällig.
Ein Destabilisierungselement ist beispielsweise Korruption - oft eine Folge von zu langer alleiniger Macht von immer denselben Gruppierungen.
Ein anderes Destabilisierungselement ist aber auch, wenn das System es nicht mehr schafft, die notwendige Änderungsgeschwindigkeit politisch durchzusetzen - beispielsweise weil sich die einzelnen Gewalten gegenseitig blockieren und nicht an einem Strang ziehen.
Das kann auch dann passieren, wenn die Mehrheiten jeweils nur sehr knapp sind.
In Großbritannien erleben wir derzeit so etwas.
Faktisch geht ein Riss durch die Gesellschaft, und dieser Riss geht quer durch die politische Landschaft und auch durchaus durch die traditionell größeren Parteien.
Boris Johnson hat eine deutliche Mehrheit in seiner Partei - aber nur eine knappe Mehrheit bei den Abgeordneten seiner Partei im Parlament. Fraglich ist auch, ob er dauerhaft eine Mehrheit im Parlament überhaupt erhalten kann - seine rechnerische Mehrheit schrumpft faktisch mehr und mehr.
Ein Kniff seinerseits könnte es sein, Neuwahlen gerade über den 31.10. anzusetzen. So könnte es ihm gelingen, faktisch den Brexit herzustellen, den das Parlament nicht mehr stoppen kann - einfach weil es auf Neuwahlen hinausläuft, und er keine Fristverlängerung beantragt.
Das Unterhaus hat hier schon Überlegungen, gegebenenfalls die Queen aufzufordern, einen Aufschub bei der EU zu beantragen - das aber wäre eine Politisierung der Queen - für deren Position alles andere als Attraktiv. Wahrscheinlich ist, dass die Queen sich nicht einmischt - damit käme es zum Brexit!
Der unwahrscheinlichere Fall wäre, dass die Queen die Fristverlängerung beantragt. Allerdings könnte das ein Problem für die Monarchie werden......weshalb dann die Queen unmittelbar danach abdanken sollte.
Alles in allem ziemliches Chaos - aber vor allem deshalb, weil eine gesellschaftspolitische Entscheidung in GB ansteht, die nicht durch die traditionellen Parteien klar als Alternativen herausgearbeitet wurde und wird - sondern weil der Riss quer durch alle Gesellschaftlichen Strömungen geht.
In anderen EU-Ländern gibt es teilweise ähnliche Fragestellungen - auch Deutschland ist davor nicht in Gänze gefeit. Deutschland geht es derzeit wirtschaftlich noch relativ gut - wenn das bröckelt - und danach sieht es aus - kann die Stimmung kippen. Dann haben wir noch Neuwahlen in Petto - aber die SPD wird dann zur Kleinpartei geschrumpft sein. Und - ob die Grünen in ihre Fußstapfen treten können, ist noch nicht entschieden.
Mit einem Erstarken der AFD könnte es auch in Deutschland dazu kommen, dass es keine klaren Mehrheiten mehr gibt. Dann wird der Ruf laut nach Starken Männern......und dann gewinnt der Populismus.