#1

Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 25.02.2021 13:08
von Anthea | 12.407 Beiträge

„Ach, das ist so ein Nihilist“ hörte ich jemanden über einen anderen sagen, der aus der Kirche ausgetreten war. Tatsächlich wird der Nihilismus oft mit dem Atheismus verwechselt, wobei Letzterer lediglich den ganz bestimmten Glauben AN Gott ausklammert. An diese Stelle tritt jedoch nicht zwangsläufig das totale „Nichts“, denn der Atheist hat sich nicht vom Leben entfernt. Im Gegenteil, wie ich meine. Er hat nur an seine Stelle einen anderen subjektiven Wert gesetzt: Die Wahrheit, seine! Sein Bild der Welt.

Wenn sich also jemand als einen „Nihilisten“ bezeichnet, stellt sich mir die Frage, ob es nicht einfach bequem und feige ist, WERTE zu leugnen. Wo man sie nicht erkennt, da muss man sich auch nicht der Mühe unterziehen, sie zu hinterfragen oder zu leben.

Interessanterweise nennt Nietzsche die Religion „nihilistisch und dekadent“, aufgehängt an dem zur Tugend erhobenen „Mitleid“. […]man hat aus ihm die Tugend, den Boden und Ursprung aller Tugenden gemacht, - nur freilich, was man stets im Auge behalten muss, vom Gesichtspunkte einer Philosophie aus, welche nihilistisch war, welche die Verneinung des Lebens auf ihr Schild schrieb. Schopenhauer war in seinem Rechte damit: durch das Mitleid wird das Leben verneint, verneinungswürdig gemacht, - Mitleiden ist die Praxis des Nihilismus […]

Ist Nihilismus Anarchie?

Die Richtung des Nihilismus feierte fröhliche Urständ mit Schriftstellern wie Camus oder Miller. Das „Nichts“ wurde gesellschaftsfähig, „in“ „cool“ würde man heute sagen.

Ist Nihilismus nichts weiter als eine Flucht? Vor Verantwortung, und auch für das eigene Leben.
Eine „Philosophie“ – man mag es so benennen. Aber in meinen Augen eine wenig förderliche oder produktive. Eine „Lebenseinstellung“ der Feiglinge. Mehr nicht, so stellt sich diese in meinen Augen dar.

Nichts für ungut, möchte ich da „tätigen“ Nihilisten sagen. Ich lasse mich gerne belehren. Obwohl sich dann die Frage ergibt: Wenn doch alles sinnlos ist, was macht es dann für einen Sinn, andere überzeugen zu wollen?

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Ich bin der Wahrheit verpflichtet, wie ich sie jeden Tag erkenne, und nicht der Beständigkeit.
Mahatma Gandhi


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#2

RE: Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 25.02.2021 16:54
von Athineos | 551 Beiträge

Die Schwierigkeit der Definition das Nihilismus besteht darin, dass sich die Bedeutung seit Friedrich Lebrecht Goetz ( " Neinismus " ) bis Iwan Sergejewitsch Turgenew tn Wandel befand.
Vereinfacht wird das Problem durch die philosophische Unterteilung in metaphysischen , ethischen und logischen Nihilismus, dh. Verneinung der Existenz einer Wirklichkeit, der Geltung einer moralischen Instanz und des Bestandes irgendeiner Wahrkeit. " Vereinfachen " heißt nicht " lösen ", was wir am Beispiel Nietzsches, Heideggers, Poppers bis hin zu Jonas und Kuhlmann sehen.


Μολών λαβέ!
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#3

RE: Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 25.02.2021 18:34
von Findus | 2.521 Beiträge

Zitat von Anthea im Beitrag #1
An diese Stelle tritt jedoch nicht zwangsläufig das totale „Nichts“, denn der Atheist hat sich nicht vom Leben entfernt. Im Gegenteil, wie ich meine. Er hat nur an seine Stelle einen anderen subjektiven Wert gesetzt: Die Wahrheit, seine! Sein Bild der Welt.


Es gibt kein physikalisches Nichts. Das wäre ein Zustand außerhalb der Existenz unseres Universums.


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#4

RE: Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 25.02.2021 23:11
von SirPorthos | 3.127 Beiträge

Zitat von Findus im Beitrag #3
Zitat von Anthea im Beitrag #1
An diese Stelle tritt jedoch nicht zwangsläufig das totale „Nichts“, denn der Atheist hat sich nicht vom Leben entfernt. Im Gegenteil, wie ich meine. Er hat nur an seine Stelle einen anderen subjektiven Wert gesetzt: Die Wahrheit, seine! Sein Bild der Welt.


Es gibt kein physikalisches Nichts. Das wäre ein Zustand außerhalb der Existenz unseres Universums.


"Unser Universum".

Als erste Frage stellt sich mir die, was das ist.

Und die nächste Frage: Gibt es noch andere Universen ?

Lieben Gruß und gute Nacht aus dem alten Land !

PS: Es gibt Fragen, die überlasse ich lieber ihm da oben


Imperare sibi maximum bellum est
Athineos hat sich bedankt!
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#5

RE: Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 26.02.2021 07:59
von Findus | 2.521 Beiträge

Zitat von SirPorthos im Beitrag #4
Und die nächste Frage: Gibt es noch andere Universen ?


Physikalisch möglich, jedoch mit unseren Wissen und Kenntnissen (noch) nicht zu beweisen.



zuletzt bearbeitet 26.02.2021 08:03 | nach oben springen

#6

RE: Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 26.02.2021 17:25
von Till (gelöscht)
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Zitat von Findus im Beitrag #5
Physikalisch möglich

Selbst das können wir mit unserem heutigen Wissen weder bejahen noch verneinen.



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#7

RE: Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 26.02.2021 20:27
von SirPorthos | 3.127 Beiträge

Liebe Gemeinde,

1895 wurde die Röntgenstrahlung endeckt. SIe hilft uns heute in der Diagnose und Prävention von Krankheiten.

Jedoch existiert diese Strahlung, seit es das Universum gibt.

Was wissen wir heute ? Sehr wenig.

Was wissen wir heute nicht: Fast alles !

Und das wird auch noch in 10.000 Jahren so sein.

Ist das nicht erheiternd ?

Leben wir doch im Hier und Jetzt und erfreuen uns an den Dingen, die wir haben. Wein, Essen, Weib und Gesang.

Alles andere ergibt sich mit wissenschaftlichem Interesse irgendwann.....vielleicht die 2% des Weltwissens in 20.000 Erdenjahren.

Jedoch werden wir immer weit davon entfernt sein, alles erklären zu können. Und wisst Ihr auch warum ? Er da oben lässt sich nicht in die Karten schauen !

Lieben Gruß aus dem alten Land !


Imperare sibi maximum bellum est
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#8

RE: Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 27.02.2021 00:13
von Atue (gelöscht)
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Ich spiel dann mal den Tröster.....

Richtig - wir wissen fast nichts. Na und?

Mit dem wenigen haben wir schon eine ganze Menge erreicht! Das stimmt doch optimistisch!



moorhuhn und Findus haben sich bedankt!
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#9

RE: Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 27.02.2021 01:13
von moorhuhn | 1.486 Beiträge

Zitat von Atue im Beitrag #8
Richtig - wir wissen fast nichts. Na und?


Manchmal muss man aus Gründen der psychischen Gesundheit Mut zur Lücke haben.
Daran schließt sich auch meine Definition zum "Nihilismus" an, ich kann so Vieles nicht ändern, habe aber das Recht, für mich persönlich zu entscheiden, Vieles auszublenden, ihm eine Absage zu erteilen, weil ich den Sinn darin nicht sehe.
Nihilismus ist aus meiner Sicht sehr weit interpretierbar und in seiner Reinform wohl auch nicht lebbar.


Der frühe Vogel kann mich mal !
SirPorthos hat sich bedankt!
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#10

RE: Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 27.02.2021 13:48
von Findus | 2.521 Beiträge

Zitat von Mecki im Beitrag #6
Zitat von Findus im Beitrag #5
Physikalisch möglich

Selbst das können wir mit unserem heutigen Wissen weder bejahen noch verneinen.


Mecki, du Scherzkeks, nichts anderes habe ich geschrieben. Lies bitte richtig.


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#11

RE: Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 27.02.2021 16:01
von SirPorthos | 3.127 Beiträge

Zitat von moorhuhn im Beitrag #9
Zitat von Atue im Beitrag #8
Richtig - wir wissen fast nichts. Na und?


Manchmal muss man aus Gründen der psychischen Gesundheit Mut zur Lücke haben.
Daran schließt sich auch meine Definition zum "Nihilismus" an, ich kann so Vieles nicht ändern, habe aber das Recht, für mich persönlich zu entscheiden, Vieles auszublenden, ihm eine Absage zu erteilen, weil ich den Sinn darin nicht sehe.
Nihilismus ist aus meiner Sicht sehr weit interpretierbar und in seiner Reinform wohl auch nicht lebbar.




Moin Moorhuhn,

das sehe ich genauso. Mit Nihilismus habe ich mich damals auf dem Gymnasium beschäftigt. Das war in den 80ern sehr "in". Vieleicht reichte mein Verstand nicht aus, aber ich kann damit nichts anfangen.

Meine Entscheidung: Ich wurde christlich geboren und werde auch christlich sterben.

Ob das richtig oder falsch ist, kann ich nicht sagen.

Glauben ist Privatsache und solange er keinen Schaden an "Ungläubigen" zufügt, ist er in meinen Augen völlig in Ordnung. Denn Glauben heisst bewusst "Glauben" und nicht "Wissen". Wir sollten uns nur davor hüten, anderen Menschen unseren Glauben aufzuzwingen. Schon gar nicht mit Gewalt.

Im Glauben bin ich nicht streitbar. Dafür aber in Mathematik. Also konzentriere ich mich auf letzteres, um mein Testosteron abzubauen.

Ich liebe alte Kirchen. Die Architektur und auch die großen Orgeln. Sie sind Meisterwerke. Ich würde niemanden rausschmeissen, der dort ist und nicht der christlichen Religion angehört. Alle sind eingeladen. Auch Schamanen von den Fidschi Inseln. Vielleicht können wir von letzteren noch lernen.

Ich halte es so wie Friedrich von Preussen: Jeder mnöge nach seiner Facon selig werden.

Lieben Gruß aus dem alten Land !


Imperare sibi maximum bellum est


kuschelgorilla hat sich bedankt!
zuletzt bearbeitet 27.02.2021 16:01 | nach oben springen

#12

RE: Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 27.02.2021 17:30
von Till (gelöscht)
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Zitat von Findus im Beitrag #10
Zitat von Mecki im Beitrag #6
Zitat von Findus im Beitrag #5
Physikalisch möglich

Selbst das können wir mit unserem heutigen Wissen weder bejahen noch verneinen.


Mecki, du Scherzkeks, nichts anderes habe ich geschrieben. Lies bitte richtig.
Wenn Sie dasselbe gemeint haben, dann sind wir uns ja einig.


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#13

RE: Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 27.02.2021 19:16
von Findus | 2.521 Beiträge

Darauf gibt´s ein Bier in der Burning Bird Bar


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#14

RE: Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 27.02.2021 21:47
von Hamlets Gummibärchen (gelöscht)
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Zitat von moorhuhn im Beitrag #9


Manchmal muss man aus Gründen der psychischen Gesundheit Mut zur Lücke haben.
Daran schließt sich auch meine Definition zum "Nihilismus" an, ich kann so Vieles nicht ändern, habe aber das Recht, für mich persönlich zu entscheiden, Vieles auszublenden, ihm eine Absage zu erteilen, weil ich den Sinn darin nicht sehe.
Nihilismus ist aus meiner Sicht sehr weit interpretierbar und in seiner Reinform wohl auch nicht lebbar.




Was also ist Nihilimus? Die Anerkenntnis der Tatsache, daß wir dem Kosmos völlig schnuppe sind.

Kosmos meint eine Sphäre, der es völlig egal ist, ob es Lebewesen auf einem völlig unwichtigen Planeten einer völlig unwichtigen Sonne irgendwo in einer Milchstraße, die eine unter Milliarden ist, gibt. Diese Sphäre zeichnet sich dadurch aus, daß sie durch ihre für den Menschen unermeßliche Weite ihm seine Unerheblichkeit im Ganzen zeigt, ferner durch eine Schweigsamkeit, die dem Menschen keinerlei Botschaft mehr sendet und drittens durch eine Rücksichtslosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Menschen zeigt. Ich habe dies bewußt in seinen angsterregenden Wirkungen auf den Menschen ausgedrückt, weil es direkt zu der Frage führt, wieso so lange Jahrhunderte man sich diese Erkenntnisse aus der Tasche log. Religion, Mythos und Wissenschaft sind ist nichts anderes als der Versuch, im dunklen Wald ein Lied zu singen, um sich die Angst zu vertreiben. Und die Tragik der Moderne ist, daß wir nach der Herausbildung der Neuzeit mit ihren Enttarnungen kein passendes Lied mehr im Repertoire haben.

Nihilismus ist möglicherweise das Anerkennen dieses völligen Desinteresses, dieser völlige Getrenntheit des Kosmos vom Menschen. Wobei ich zugebe, daß ich die tragischen Momente in den Vordergrund stelle. Die Frage ist daher auch nicht, wozu Wahrheit dient, sondern ob sie möglich ist. Sie ist es nicht, wie aus dem Gesagten hervorgeht, aber wir brauchen sie, um mit den Schweigen der Welt zurecht zu kommen.

Bergson hat den Menschen das „fabulierende Wesen“ genannt. Wo er Recht hat, hat er recht. Denn anderes bleibt dem Menschen letztendlich nicht übrig: er schafft sich Geschichten. Bilder, Symbole, Mythen und Theorien, die ihm das Überleben ermöglichen. Nur „wahr“ sind all diese Verrichtungen nicht. Sie sind historische Phänomene und funktionieren bestenfalls, solange sie funktionieren; wenn ihre Geschichte abgelaufen ist, werden sie durch bessere ersetzt.

So gesehen ist der Nihilismus die ehrlichste, aber auch die schwerste Philosophie.


"Bosheit, mein Herr, ist der Geist der Kritik, und Kritik bedeutet den Ursprung des Fortschritts und der Aufklärung" (Thomas Mann, Der Zauberberg)

Man kann aus keiner Mücke einen Elefanten machen, aber jeden Elefanten zur Schnecke.


moorhuhn hat sich bedankt!
zuletzt bearbeitet 27.02.2021 21:55 | nach oben springen

#15

RE: Nihilismus – Philosophie oder Lebensflucht?

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 28.02.2021 02:58
von moorhuhn | 1.486 Beiträge

Zitat von Hamlets Gummibärchen im Beitrag #14
So gesehen ist der Nihilismus die ehrlichste, aber auch die schwerste Philosophie.


Stimmt. Letztlich sind alle psychotherapeutischen Programme/Ansätze nihilistisch ausgerichtet. Eigentlich paradox, soll man doch als Schwermütiger ins Leben zurückgeführt werden. Aber die erste Lektion auf der Couch lautet: "Sie können ihr Umfeld nicht ändern, nur sich selbst."
Dies bedeutet nichts anderes, als sich bewusst zu machen, dass alle, mit denen man Probleme hat, im eigenen Überlebenskampf verhaftet sind und je nach Stand und Überzeugung "Wahrheiten" in Stein meißeln, die beliebig/austauschbar sind.
Nihilismus als "schwere" Philosophie oder auch Lebensart kann man im Grunde an jeder vom Mainstream abweichenden Haltung erkennen, womit aber nicht bewiesen ist, dass diese Haltung nun die "Wahrheit" ist. Insofern bewegen sich Nihilisten immer in einem gefährlichen Spannungsverhältnis zwischen gesetzter Norm, den Lehren Kants und der eigenen Interpretation von "Wahrheit".
Ich glaube auch nicht, dass dieser Konflikt auf "Lebensflucht" ausgerichtet ist, mehr auf die ständige Suche nach einem sinngeprägten Dasein, deren "Wahrhaftigkeit" niemals gefunden wird. Lebensflucht oder auch Anarchiegedanken sind Hilfskonstrukte, die dem Nihilisten nur temporär Zufriedenheit verschaffen.

Zitat von Hamlets Gummibärchen im Beitrag #14
Nihilismus ist möglicherweise das Anerkennen dieses völligen Desinteresses, dieser völlige Getrenntheit des Kosmos vom Menschen. Wobei ich zugebe, daß ich die tragischen Momente in den Vordergrund stelle


Anerkennung nur bedingt, eher schmerzhafte Akzeptanz, die nicht selten im Suizid "Erlösung" findet oder sich eben in Fatalismus auflöst.


Der frühe Vogel kann mich mal !
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