#1

Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 18.01.2019 17:57
von Anthea | 12.397 Beiträge

Es heißt, dass der Grat zwischen Genie und Wahnsinn nur ein geringer ist.
Oder volkstümlicher gedacht: Jeder Doll ist anders. Was heißt, dass man um unterschiedliche Charaktere weiß. Dass man Menschen nun einmal so nehmen muss, wie sie sind – oder auch nicht. Man muss nicht einen jeden annehmen und gewisse Eigenarten tolerieren. Man kann jemanden auch sagen: So geht das nicht, so kannst du dich im Sinne funktionierender zwischenmenschlicher Beziehungen nicht verhalten.

Etwas anderes ist es, wenn jemand krank ist. Da genießt derjenige so eine Art von „Welpenschutz“. Nehmen wir das ganz simple Beispiel eines leidenden, quengelnden und nörgelnden Partners, der seine Umwelt „auf Trab“ hält mit seinen Bedürfnissen. Da ihn ein Schnupfen auf die Bettstatt packte. Da holt „Frau“ ihm gerne seine „Schnuffeltücher“ oder eilt zur Apotheke, um Hustensaft zu erstehen. Ist er jedoch genesen, dann heißt es wieder zu Recht: Mach das doch selber! ;-)
Punkt. Und ein unfreundlicher schroffer Befehlstonfall wird nicht mehr akzeptiert und auf Änderung desselben hingewiesen.

Was aber geschieht, wenn man gar nicht um eine spezielle „Krankheit“ weiß und auf andere Umstände milderer Betrachtung und Tolerierung zurückgreift und somit sich selbst andauernd ärgern muss?

Ich möchte hier einen speziellen Fall schildern, der mich persönlich beschäftigt. Es geht um eine langjährige gute Bekannte, die ich als „Freundin“ einstufte. Ich habe mich oft gefragt, warum sie überall aneckte, wieso sie in der Firma von Abteilung zu Abteilung geschickt wurde. Ich fand nichts wirklich Ungebührliches oder eine Versetzung Rechtfertigendes bei ihren Situationsschilderungen. Im Gegenteil gefiel mir, dass sie sich offenbar zu wehren wusste und Kontra gab. Diese Frau hat eine recht seltene Krankheit, die sie oft in Schüben heimsucht und ist nicht zuletzt durch Spritzen und Medikamentengaben auch für andere Krankheiten recht anfällig. Alles etwas, das Mitgefühl rechtfertigt.

Das Verhalten mir gegenüber als „Freundin“ oder z.B. Gast in unserem Hause jedoch nicht wirklich… So gab es immer wieder Situationen, wo sie mich direkt vor den Kopf stieß und ich gar nicht wusste, wie mir geschah.

Jetzt kürzlich ist mir aus gegebener Veranlassung der Kragen geplatzt und ich habe ihr gesagt/geschrieben, dass man sich SO nicht verhält, wie sie es getan hatte. Seitens einer anderen Freundin, der ich schon des Öfteren „mein Leid geklagt hatte“ und die die zur Rede Stehende nur aus meinen Schilderungen kennt, wurde ich jetzt auf die richtige Fährte gesetzt. Offenbar leidet diese Frau an dem Asperger Syndrom,welches man als an der Grenze zur Normalität betrachtet. Das AS gilt nicht als Krankheit im herkömmlichen Sinne, sondern um eine andere „Verdrahtung“ des Gehirns, wobei dann im Grunde genommen gewisse Drähte nicht kompatibel zu anderen sind. Es fehlt also – ganz vereinfacht gesagt – u.a.! an empathischen Möglichkeiten des Erkennens der Gefühlswelt anderer und entsprechend darauf ausgerichteter Reaktion.

Seit ca. Mitte 1920 wird das Asperger Symptom in der Psychiatrie diskutiert. Es ist nicht umkehrbar, also nicht heilbar. Dass meine Bekannte selbst ziemlich sicher darum weiß, ist mir jetzt bewusst geworden. Das erklärt auch ihre regelmäßigen Besuche bei Psychiatern, was ich ihrer „schlimmen Kindheit“ und ihrer Belastung durch die körperliche Krankheit zugeschrieben hatte.

Was ich mich frage ist, so jemand nicht offen mit seinen Defiziten umgeht (ist im Übrigen eine intelligente Frau), dann will sie nicht in die Ecke von „Autismus“ gedrängt werden. Und als völlig „normal“ hingenommen werden.
Und „normalen Menschen“ muss man doch so begegnen, wie es „Norm“ ist? Ihnen also auch klipp und klar sagen können und dürfen, wenn man sich beleidigt und verletzt fühlt, unangemessen behandelt etc?

Offensichtlich nicht, denn die Grenze zur „normalen“ Unhöflichkeit, sprich berechnendem Egoismus und der Sache „kann nicht anders“ ist da wohl bei AS’lern auch sehr fließend. Auch hier gibt es wohl diverse Unterschiede.
Schwierig auf jeden Fall, mit solchen Menschen umzugehen.


---


Ich bin der Wahrheit verpflichtet, wie ich sie jeden Tag erkenne, und nicht der Beständigkeit.
Mahatma Gandhi
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#2

RE: Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 18.01.2019 18:15
von kuschelgorilla | 3.292 Beiträge

Hast du dich inzwischen mit dem Asperger-Syndrom auseinandergesetzt?
Ich gehe davon aus. Andernfalls hättest du das Thema wohl nicht so einfach eröffnet.
Diese Frage stelle ich jetzt innerhalb der letzten 12 Monate schon ein zweites Mal.
Naja - manchmal trifft es einen schlichtweg unvorbereitet und man stößt dann sein Gegenüber aus Unwissenheit vor den Kopf.

Ich habe mal zwei Fragen.
Hat diese Frau denn gemerkt, was sie tat, als sie dir vor den Kopf stieß?
Wie hat sie dann auf dein massives Veto reagiert?


Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen sie doch bitte die anderen.
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#3

RE: Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 18.01.2019 19:00
von Anthea | 12.397 Beiträge

Zitat von kuschelgorilla im Beitrag #2
Hast du dich inzwischen mit dem Asperger-Syndrom auseinandergesetzt?
Ich gehe davon aus. Andernfalls hättest du das Thema wohl nicht so einfach eröffnet.
Diese Frage stelle ich jetzt innerhalb der letzten 12 Monate schon ein zweites Mal.
Naja - manchmal trifft es einen schlichtweg unvorbereitet und man stößt dann sein Gegenüber aus Unwissenheit vor den Kopf.

Ich habe mal zwei Fragen.
Hat diese Frau denn gemerkt, was sie tat, als sie dir vor den Kopf stieß?
Wie hat sie dann auf dein massives Veto reagiert?


Nun habe ich all die Jahre! Dinge unwidersprochen hingenommen. Weil ich nun einmal dachte, dass sie besonders "eigenbrötlerisch" ist. Allerdings häuften sich die Momente, wo ich dachte "hoppla, so geht das aber nicht...."

Ich habe ja gar kein "massives" Veto eingelegt, sondern nur ganz klar gesagt, dass ich mich gekränkt fühlen würde.
Sie hat den Kontakt zu mir abgebrochen. Sofort! Keine Erklärung mehr!

Sie hatte das schon einmal vor Jahren für eine längere Zeit gemacht. Da war der Grund, dass wir in der Stadt waren, es zu regnen begann, sie einen Schirm hatte und ich mit darunter wollte, mich also bei ihr einhaken wollte. Das wehrte sie ab... Und dann hatte sie eine Fuß-OP vor sich und es war eigentlich klar, dass ich sie besuchen resp. nach Hause fahren würde. Aber sie schrieb mir dann, ich möge nicht kommen!
Nur zur Klarstellung: Ich stehe nicht auf Frauen und mache diese auch nicht irgendwie an.


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#4

RE: Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 18.01.2019 19:21
von moorhuhn
avatar

Asperger ist eine Form von Autismus und äußert sich u.a. in geringer Empathiefähigkeit und gewollter sozialer Isolation. Insofern kann man die Symptome deiner Freundin ganz gut einordnen, sie scheut die Nähe zu dir (Schirm) und deine Gesellschaft und Fürsorge, weil sie unterschwellig ein Gefühl von Pflicht in der Interaktion mit anderen Menschen empfindet. Das wiederrum überfordert sie mental, deshalb die Respektlosigkeit bzw. der Rückzug.
Ich habe einen Aspergerautisten in einer 9. Klasse- hochintelligent, motiviert und ehrgeizig, allerdings macht er komplett sein eigenes Ding, hat keine Freunde und man muss ihn bremsen, damit seine Mitschüler auch mal zu Wort kommen. Meistens hilft mir sein Schulbegleiter dabei. Malte will mal Bundeskanzler werden.


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#5

RE: Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 18.01.2019 19:22
von kuschelgorilla | 3.292 Beiträge

Zitat von Anthea im Beitrag #3
...
Nun habe ich all die Jahre! Dinge unwidersprochen hingenommen. Weil ich nun einmal dachte, dass sie besonders "eigenbrötlerisch" ist. Allerdings häuften sich die Momente, wo ich dachte "hoppla, so geht das aber nicht...."

Ich habe ja gar kein "massives" Veto eingelegt, sondern nur ganz klar gesagt, dass ich mich gekränkt fühlen würde.
Sie hat den Kontakt zu mir abgebrochen. Sofort! Keine Erklärung mehr!


Ich gehe davon, dass sie urplötzlich vor der Situation stand, sich gar nicht gewahr war, dich verletzt zu haben, und war dann mit dieser Situation emotional absolut überfordert.
Bei deiner zweiten geschilderten Situation könnte es sich ähnlich verhalten. Näh, die du quasi eingefordert hast, kann für AS Menschen durchaus eine emotionale Überfoderung darstellen.

Zitat von Anthea im Beitrag #3
Sie hatte das schon einmal vor Jahren für eine längere Zeit gemacht. Da war der Grund, dass wir in der Stadt waren, es zu regnen begann, sie einen Schirm hatte und ich mit darunter wollte, mich also bei ihr einhaken wollte. Das wehrte sie ab... Und dann hatte sie eine Fuß-OP vor sich und es war eigentlich klar, dass ich sie besuchen resp. nach Hause fahren würde. Aber sie schrieb mir dann, ich möge nicht kommen!


Da Asperger Menschen ihr Handlungsabläufe ritualisieren, sind Abweichungen damit absolut verunsichernd, überfordernd. Abweichungen wie der Krankenhausaufenthalt fallen in dieses Schema. Darüber hinaus sollte man auch immer davon ausgehen, dass sich AS Menschen durchaus als defizitär vorkommen. Beides zusammen kann dann natürlich wegen erhöhter Belastung zu einem emotionalen aber auch räumlichen Rückzug führen. Man muss sich ja schützen.

Damit lässt sich dann auch leichter verstehen, warum AS Menschen im Berufsleben keinen leichten Stand haben. Das Alltagsgeschnatter in der Arbeit an sich kann vielleicht noch ausgeblendet werden. Irgendwann kommt aber der Punkt, wo man etwas persönlicher werden müsste. Die KollegInnen fordern sich das auch irgendwann einmal ein. Wenn darauf nicht eingegangen wird fängt auch schnell mal die Gerüchteküche zu kochen an. Oder ein Wort ergibt das andere... In der Situation sind AS Menschen dann regelrecht hilflos und bräuchten Unterstützung, die sie dann aber ablehnen.

Zitat von Anthea im Beitrag #3
Nur zur Klarstellung: Ich stehe nicht auf Frauen und mache diese auch nicht irgendwie an.



Ausnahmsweise verzichte ich jetzt auf meinen dummen Kommentar dazu. Dazu ist mir dieses Thema zu ernst.


Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen sie doch bitte die anderen.
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#6

RE: Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 18.01.2019 19:44
von Anthea | 12.397 Beiträge

Das Interessante war auch, dass ich quasi ihre "Beraterin" war. D.h., dass sie mich fragte, was ich davon halten würde, wenn ihr dies oder das in der Firma geschah... Und man ist ja immer gerne bereit "pro" Freund*in zu denken resp. zu urteilen. All das dann aber unter der Einschränkung, wenn man den Abstand hat und nicht plötzlich ein "learning bei doing" die Sache transparenter macht. Und man im Grunde genommen dann sein Urteil überdenken müsste. Dann nach dem Motto: So viele unterschiedliche andere Menschen können ja eigentlich nicht irren, wenn ihnen eines gemein ist "Ablehnung" einer Person. Dann wird das "warum" irgendwie verständlicher, weil hautnah selbst erlebt.

Interessant ist auch, dass ich immer ein "tadelloses Verhalten" als aufgesetzt empfunden habe. Also gespielte Freude oder so...


Ich bin der Wahrheit verpflichtet, wie ich sie jeden Tag erkenne, und nicht der Beständigkeit.
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#7

RE: Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 18.01.2019 19:55
von kuschelgorilla | 3.292 Beiträge

Zitat von Anthea im Beitrag #6
Das Interessante war auch, dass ich quasi ihre "Beraterin" war. D.h., dass sie mich fragte, was ich davon halten würde, wenn ihr dies oder das in der Firma geschah... Und man ist ja immer gerne bereit "pro" Freund*in zu denken resp. zu urteilen. All das dann aber unter der Einschränkung, wenn man den Abstand hat und nicht plötzlich ein "learning bei doing" die Sache transparenter macht. Und man im Grunde genommen dann sein Urteil überdenken müsste. Dann nach dem Motto: So viele unterschiedliche andere Menschen können ja eigentlich nicht irren, wenn ihnen eines gemein ist "Ablehnung" einer Person. Dann wird das "warum" irgendwie verständlicher, weil hautnah selbst erlebt.


Nein - natürlich nicht. So viele Menschen können nicht irren. Die Frage ist nur, worin sie sich irren. Wussten all die Menschen vom AS deiner Freundin? Ich denke nicht, dass sie ihre Erkrankung groß vor allen ausgebreitet hat. Meiner Einschätzung nach sind Menschen mit AS nicht so offen, ein solches Defizit, als das die Erkrankung empfunden wird, offen zu artikulieren. Unter dieser Prämisse ist das mit dem Irren gar nicht so einfach darzustellen. Ich denke, das muss dann sehr viel differenzierter betrachet werden. Ob wir "Normal(sterblich)e" in unserem Alltag dazu in der Lage sind? Schwierig...

Zitat von Anthea im Beitrag #6
Interessant ist auch, dass ich immer ein "tadelloses Verhalten" als aufgesetzt empfunden habe. Also gespielte Freude oder so...


Ich denke, das möchte ich jetzt konkreter von dir lesen.
Ich denke, das ganze Thema knabbert gewaltig an dir... oder?
Aber bitte mach dir keine Vorwürfe.


Muss jetzt mein Frauchen abholen fahren...
Also entweder bis später oder bis morgen früh...


Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen sie doch bitte die anderen.


zuletzt bearbeitet 18.01.2019 19:58 | nach oben springen

#8

RE: Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 18.01.2019 19:59
von moorhuhn | 1.486 Beiträge

"Interessant ist auch, dass ich immer ein "tadelloses Verhalten" als aufgesetzt empfunden habe. Also gespielte Freude oder so..."

Nein, sie sind nach außen einfach so pragmatisch und emotionslos gestrickt. Und sie können auch nicht nachvollziehen, dass ihre Umwelt dies als negativ empfindet. Deshalb haben sie es ja auch so schwer und bleiben lieber für sich alleine. Im Arbeitsleben sind sie am besten aufgehoben, wenn sie einem Team Zuarbeit leisten, mit Recherchen, Plänen etc.
Kennst du die SOKO Stuttgart? Die haben einen Mitstreiter, der in einem klinisch reinen weißen Büro vor 4 Monitoren sitzt, ein Nerd, wie er im Buche steht. Muss er sich mit Leuten unterhalten, kriegt er Zustände, lol


Der frühe Vogel kann mich mal !
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#9

RE: Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 18.01.2019 20:10
von Anthea | 12.397 Beiträge

Sie fühlte sich immer sichtlich unwohl, wenn z.B. auf einer Gartenparty mehrere Leute waren. Firmenveranstaltungen machte sie meistens nicht oder nie mit, fand immer einen Grund...

Aber, wie gesagt, ich habe bis vor kurzem sie einfach als "Sonderling" gesehen.
Sie hat mich/uns nie zu sich eingeladen. Ich kenne ihre Wohnung nicht. Wenn ich sie abgeholt habe, dann immer an einem Treffpunkt vorm Haus entfernt.
Sie erzählte, dass sie keine Couch oder Stühle/Sessel für Besucher haben würde und für sich einen bequemen Fernsehsessel.

Ich habe das auch noch so gesehen, dass ich mich gefreut habe, dass sie offensichtlich zu mir Vertrauen hatte und mich besuchte etc. Und sah sie als "wählerisch" an, was ihre näheren Kontakte anbelangte.

---


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#10

RE: Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 18.01.2019 20:56
von Anthea | 12.397 Beiträge

Aber irgendwie fehlt sie mir. Denn ich habe sie ja - trotz allem - gerne gemocht. Und mich um sie gekümmert, denn es sollte ihr gut gehen. Und vor allen Dingen: Ich war dabei jedoch nie aufdringlich.
Ich pflege Freundschaften und kümmere mich um Menschen.
Ich habe im August letzten Jahres eine Schulfreundin aus Kindertagen verloren. Sie ist gestorben. Auch ein Verlust, der mir nachhängt.

---


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#11

RE: Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 18.01.2019 21:12
von Anthea | 12.397 Beiträge

Aber ich komme vom Thema ab. Oder der Frage:

Wie soll man mit Menschen umgehen, die das AS haben, jedoch dies geheim halten.
Soll man sie so behandeln, wie man es bei anderen Menschen tun würde, die nicht davon betroffen sind?
Das heißt also, sie mit Dingen konfrontieren, die nicht in Ordnung sind. Und zwar subjektiv und objektiv betrachtet. Oder soll man immer die Zähne zusammen beißen und sich alles gefallen lassen?
Die von Asperger Syndrom Befallenen sind ja durchaus lernfähig und können dann wissen, was geht und was nicht im Umgang mit Freunden.
Zumindest müssten sie lernen können sich zu entschuldigen. Und zu sagen: Das war ungeschickt, so war das nicht gemeint... Und zwar lernen dies zu sagen aus dem "Verständnis" heraus, dass es SO angebracht ist. Auch wenn sie es selbst nicht wirklich nachempfinden können, weil ihnen alles "scheißegal" ist, was außerhalb ihrer eigenen Belange existiert.

---


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Mahatma Gandhi
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#12

RE: Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 18.01.2019 22:07
von moorhuhn | 1.486 Beiträge

"Zumindest müssten sie lernen können sich zu entschuldigen. Und zu sagen: Das war ungeschickt, so war das nicht gemeint... Und zwar lernen dies zu sagen aus dem "Verständnis" heraus, dass es SO angebracht ist. Auch wenn sie es selbst nicht wirklich nachempfinden können, weil ihnen alles "scheißegal" ist, was außerhalb ihrer eigenen Belange existiert."

Anthea, es ist ihnen nicht scheißegal, Aspergern fehlt schlicht der Zugang zu emotionalen Welten. Insofern können sie auch nicht einschätzen, ob sie beim Gegenüber als "ungeschickt" daherkommen, und sie können es auch nicht lernen.

Der konfliktfreie Umgang mit Aspergern ist nur möglich, wenn das Umfeld Kenntnis von der Krankheit hat. Bei Kindern und Jugendlichen funktioniert das sehr gut, weil die heutige Elterngeneration mit psychische Krankheiten offen und entspannt umgeht.
Am Beispiel deiner Freundin kann man sehr gut traditionelle Vorurteile und die damit verbundenen Tabustrategien erkennen. Sie schämt sich, ihre Krankheit bekannt zu machen und unternimmt alles, um sich abzuschotten. Gelingt das nicht, eckt sie an und die Missverständnisse nehmen ihren Lauf.


Der frühe Vogel kann mich mal !
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#13

RE: Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 18.01.2019 22:49
von SirPorthos | 3.127 Beiträge

Anthea,

Menschen sind Individuen. Die Zeit der Kollektive ist heute vorerst vorbei. Ich bin noch noch ein Mensch vom uralten Schlag, denn ich suche Gemeinschaft und bin innerhalb gewisser Parameter anpassungsfähig.

Ich weiß nicht ob das richtig ist oder ob es die Menschheit weiter bringt.

Und bzgl. angeblicher psychiatrischer Diagnosen bin ich skeptisch. Wer ist bekloppter in einer psychiatrischen Therapie...der Vortänzer (Arzt) oder der Patient ?

Ich habe es vor einigen Jahren mal versucht. Nach der zweiten sogenannten "Sitzung" bin ich stiften gegangen. Mein Psychiater hat sich drei Jahre später erhängt. Wer ist oder war also bekloppter ?

Ich finde meine persönliche Therapie im Lesen von guter Literatur oder in nächtelangen JamSessions am Klavier. Das ist mein Rückzugsort, der nur mir gehört.

Lieben Gruß aus dem alten Land !

PS: Ich traue mich nicht mehr raus, hier treiben Elbklabauter ihr Unwesen


Si vis pacem para bellum !


zuletzt bearbeitet 18.01.2019 22:54 | nach oben springen

#14

RE: Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 19.01.2019 10:20
von Anthea | 12.397 Beiträge

Zitat
Zitat von kuschelgorilla im Beitrag #7
Zitat von Anthea im Beitrag #6Interessant ist auch, dass ich immer ein "tadelloses Verhalten" als aufgesetzt empfunden habe. Also gespielte Freude oder so...


Ich denke, das möchte ich jetzt konkreter von dir lesen.Ich denke, das ganze Thema knabbert gewaltig an dir... oder?Aber bitte mach dir keine Vorwürfe.



Ja, an dem Thema knabbere ich tatsächlich rum. Und "Vorwürfe"? Ich weiß - oder bin der Meinung - dass ich nichts falsch gemacht habe. Aber ich hinterfrage dennoch ein Ergebnis. Und fühle mich hilflos, weil mir einfach nichts einfällt, was ich und wie hätte anders machen, bzw. reagieren, können. Mein Manko war, dass ich mich noch nie mit AS auseinander gesetzt hatte und gar nicht auf die Idee gekommen war, dass es sich darum hätte handeln können. Aber so ich das gewusst hätte: Ich wäre sicherlich hilflos gewesen. Und es wäre dann auch die Frage aufgekommen, ob mir eine "Freundschaft" gut tun würde, wo ein Teil emotionale Bedürfnisse wie Einfühlen in die Probleme des anderen gar nicht würde "stemmen" können.

Aber zu deiner Frage.
Sie wehrt sich, so ihr etwas in z.B. Kritik Bezug auf ihre Arbeit gegen den Strich geht. Dies tut sie durchaus sachlich. Aber wie überall "Der Ton macht die Musik", womit ihr Ton eben kein verbindlicher ist. Ich kann das nicht verständlich machen, man müsste es erlebt haben. Es ist so etwas wie ein Zwischending zwischen Auflehnung und Devotismus. Nicht wirklich greifbar und benennbar, aber nicht angenehm.
Wie moorhuhn völlig richtig erklärte, ist sie gut im Zuarbeiten für andere, aber keinesfalls im "mit" anderen arbeiten.

Ich habe ihr scherzhaft zuweilen gesagt: Dich kann man nicht für "gut" mitnehmen. Es ging dann um Situationen, dass sie z.B. Kaffee verschüttete oder im Lokal plötzlich so laut auflachte, dass sich Gäste umdrehten. Wenn sie einen Witz nach Wiederholung begriffen hatte. "Der Groschen fällt in Pfennigen" war die Erklärung.

Ich kam mir oft so vor, dass ich bei ihr in einer Schublade steckte, wie andere auch, die sie nach Belieben öffnete und sich der Inhalte bediente. Wie es gerade für sie passte. Oder wie Menschen nutzbar waren. Für den Moment. Spontanität ging gar nicht.

"Fließende Grenzen". Es steckt aber auch aus meiner Sicht ein gehörig Maß an Charakter in solch einer "Wesensstörung" wie sie das Asperger Syndrom bedeutet. Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Syndrom ursächliche Anlagen verstärkend bedient. Anlagen, gepaart mit Kognitivem erbringen bei einem jeden gesunden Menschen im Endeffekt das, was ihn ausmacht. Anders: Ein Saulus wird selten vollkommen zum Paulus - oder umgekehrt - mutieren. Etwas bleibt immer drin.

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zuletzt bearbeitet 19.01.2019 10:24 | nach oben springen

#15

RE: Fließende Grenzen

in Medizin und Psychologie 19.01.2019 12:33
von kuschelgorilla | 3.292 Beiträge

Zitat von Anthea im Beitrag #14
...
Ja, an dem Thema knabbere ich tatsächlich rum. Und "Vorwürfe"? Ich weiß - oder bin der Meinung - dass ich nichts falsch gemacht habe. Aber ich hinterfrage dennoch ein Ergebnis. Und fühle mich hilflos, weil mir einfach nichts einfällt, was ich und wie hätte anders machen, bzw. reagieren, können.


Dieses Hinterfragen des eigenen Handelns - das ist das was ich meinte. Das kann die eigene Seele anfressen... Nicht gut aber leider auch nicht wirklich vermeidbar. Im Alltag ohne diesen speziellen Bezug ist das Selbsthinterfragen ja auch sicher eine gute Geschichte.

Zitat von Anthea im Beitrag #14
Mein Manko war, dass ich mich noch nie mit AS auseinander gesetzt hatte und gar nicht auf die Idee gekommen war, dass es sich darum hätte handeln können. Aber so ich das gewusst hätte: Ich wäre sicherlich hilflos gewesen. Und es wäre dann auch die Frage aufgekommen, ob mir eine "Freundschaft" gut tun würde, wo ein Teil emotionale Bedürfnisse wie Einfühlen in die Probleme des anderen gar nicht würde "stemmen" können.


Ohne das Wissen um die Erkrankung steht eine solche Freundschaft nie auf sicheren Beinen. Aber wenn du darum weißt, kannst du doch das meiste gelassener "ertragen". Du weißt zumindest, dass du dir nicht jeden Schuh anziehen musst, der dir entgegengeschleudert wird. Gut tun? Warum denn nicht? Freundschaften haben doch immer ganz individuelle Züge. Schön wäre es sicher, wenn ein Geben und Nehmen sich einigermaßen ausgleichen würde. Ebenso wäre es schön, wenn die eigenen Bedürfnisse auch nicht zu kurz kommen. Aber mal ganz realistisch: du hast ein Karmakonto, auf das du einzahlst und von dem du etwas zurück bekommst. Bei den Freundschaften insgesamt muss es mit dem Geben und Nehmen passen... Diese Frage würde ich also ganz entspannt sehen...

Zitat von Anthea im Beitrag #14
Aber zu deiner Frage.
Sie wehrt sich, so ihr etwas in z.B. Kritik Bezug auf ihre Arbeit gegen den Strich geht. Dies tut sie durchaus sachlich. Aber wie überall "Der Ton macht die Musik", womit ihr Ton eben kein verbindlicher ist. Ich kann das nicht verständlich machen, man müsste es erlebt haben. Es ist so etwas wie ein Zwischending zwischen Auflehnung und Devotismus. Nicht wirklich greifbar und benennbar, aber nicht angenehm.
Wie moorhuhn völlig richtig erklärte, ist sie gut im Zuarbeiten für andere, aber keinesfalls im "mit" anderen arbeiten.


Du kannst das nicht verständlich erklären, weil...? Verstehst du, was da passiert ist? Ich glaube nicht. Ich würde es auch nicht verstehen. Deswegen erfährt deine Freundin dann auch entsprechende Reaktionen. In so einer Situation muss nur auf die Worte hören, nicht aber auf den Tonfall. Dazu ist es aber notwendig, dass man als Rezipient um die Erkrankung weiß.

Zitat von Anthea im Beitrag #14
Ich habe ihr scherzhaft zuweilen gesagt: Dich kann man nicht für "gut" mitnehmen. Es ging dann um Situationen, dass sie z.B. Kaffee verschüttete oder im Lokal plötzlich so laut auflachte, dass sich Gäste umdrehten. Wenn sie einen Witz nach Wiederholung begriffen hatte. "Der Groschen fällt in Pfennigen" war die Erklärung.


Witz nach Wiederholung begriffen? AS-Menschen nehmen das meiste wörtlich. Humor, die Kleinigkeiten, die zwischen den Zeilen stehen, werden in der Regel nicht wahrgenommen.
Beispiel:
Im Lesesaal einer Bibiliothek hängt ein Schild: Bitte leise Unterhalten.
Darauf der Mensch mit AS: "Hä? Ich will doch lesen und mich nicht unterhalten. Mit wem soll ich mich denn unterhalten und über was?"
Der Sinn, der hinter der Formulierung "Bitte leise unterhalten" steckt, kommt nicht an.
Dass daraus durchaus auch Missverständniss entstehen können, brauche ich einer intelligenten Frau wie dir eigentlich nicht sagen. Menschen mit Asperger Syndrom führen ein Leben in Missverständnissen. Hart aber wahr.
Wenn du einen Tipp haben willst. Versuche Doppeldeutigkeiten zu vermeiden und meine exakt das, was du gerade sagst...
"Der Groschen fällt in Pfenningen." Eigentlich schon fast eine humorvolle Darstellung einer selbstreflekierenden Wahrnehmung von empfundenen Defiziten. Da merkt man schon, dass sich der Mensch mit sich selbst beschäftig und sich seiner Unzulänglichkeiten bewußt ist, aber keinen Einfluss auf die Steuerung derselben hat.
Kaffee zu verschütten ist ein Klassiker, wenn sich unsichere Menschen auf ungewohntem Terrain bewegen. Das Bewegen auf ungewohntem Terrain ist der Ausbruch aus dem geregelten und geordneten Leben, dass man sich AS-erkrankte selbst erschaffen.

Zitat von Anthea im Beitrag #14
Ich kam mir oft so vor, dass ich bei ihr in einer Schublade steckte, wie andere auch, die sie nach Belieben öffnete und sich der Inhalte bediente .Wie es gerade für sie passte. Oder wie Menschen nutzbar waren. Für den Moment.


Eha - so komme ich mir bei vielen Menschen vor. Alles mehr oder weniger "Normale"...

Zitat von Anthea im Beitrag #14
Spontanität ging gar nicht.


Nein - Spontanität ist ein Ausbruch aus dem geregelten Lebenslauf. Das würde noch viel mehr ausgekippte Kaffeetassen bedeuten.

Zitat von Anthea im Beitrag #14
"Fließende Grenzen". Es steckt aber auch aus meiner Sicht ein gehörig Maß an Charakter in solch einer "Wesensstörung" wie sie das Asperger Syndrom bedeutet. Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Syndrom ursächliche Anlagen verstärkend bedient. Anlagen, gepaart mit Kognitivem erbringen bei einem jeden gesunden Menschen im Endeffekt das, was ihn ausmacht. Anders: Ein Saulus wird selten vollkommen zum Paulus - oder umgekehrt - mutieren. Etwas bleibt immer drin.


Dazu kann ich mich jetzt nicht äußern. Dazu müsstest du wahrscheinlich besser einen Profi befragen.

Ich habe auch hier einen Literaturtipp für dich:
Tony Attwood: Ein Leben mit dem Asperger-Syndrom: Von Kindheit bis Erwachsensein - alles was weiterhilft

Ich denke, das was du auf alle Fälle leisten kannst, das ist dazusein, wenn sie dich braucht.
Halt die Ohren steif.


Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen sie doch bitte die anderen.
Anthea hat sich bedankt!
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